Mitteilungsblatt Nordheim
Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)
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Geschichte des Monats Februar:
Erfasst von: Redaktion, WZ | 11.02.2021 – 28.02.2021
Pocken, Pest und Cholera - Seuchen und Epidemien in der Vergangenheit
Kein Parkfest, keine Volksfeste, keine Weihnachtsgottesdienste, keine Gasthausbesuche, das Rathaus geschlossen, Maskenpflicht, Ausgangssperre – mit diesen und vielen weiteren Einschränkungen endete das Jahr 2020 und begann das neue Jahr 2021. Eine bisher nicht gekannte Infektionskrankheit hat die ganze Welt durcheinandergebracht. Die Menschen sind verunsichert, Verwaltungen und Regierungen stehen unter Stress und manchen Unternehmen und Krankenhäusern droht der Kollaps. Bisher war man es gewohnt, gegen jedes mögliche Übel mit entsprechendem Aufwand rasch Abhilfe schaffen und eine Lösung finden zu können. Doch dieser Mechanismus funktioniert bei diesem neuartigen Corona-Virus nicht. Täglich berichten die Medien über die Zahl der Neuinfizierten und der Toten. Das erinnert an vergangene Jahrhunderte, wo Seuchen wie z.B. Cholera, Pocken und Pest - der „Schwarze Tod“- die Menschen zu Tausenden oder gar Millionen dahinraffte. Auch damals waren die Menschen diesen Krankheiten hilflos ausgeliefert, sie kannten allerdings weder die Ursache noch ein wirksames Mittel dagegen. Was wir derzeit erleben, ist etwas, das außerhalb unseres bisherigen Erfahrungsbereiches und unseres Vorstellungsvermögens lag. Unsere Vorfahren hatten allerdings ähnliche Ereignisse schon erlebt oder von ihren Eltern und Großeltern erfahren, dass immer wieder Angehörige, Nachbarn oder Freunde in großer Zahl durch schlimme ansteckende Krankheiten sterben mussten. Das letzte große, weltweite Krankheitsereignis war die Spanische Grippe (um 1918-1920), eine Influenza-Pandemie, bei der weltweit zwischen 20 und 50 Millionen Menschen gestorben sind. Auch in Nordheim starben damals von Mitte Oktober 1918 bis Anfang Januar 1919 zwanzig Menschen an dieser Krankheit.
Heute hofft nun alle Welt auf die Erkenntnisse der Pharmazie und Medizin, um mittels eines neuartigen Impfstoffes diese neue Corona-Krankheit besiegen zu können, so wie man zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Einführung der Pockenimpfung diese oft tödliche Krankheit damals besiegt hat. Welche Krankheiten und Seuchen bedrohten früher das Leben unserer Vorfahren hier in Nordheim? Welche Auskunft geben die Quellen des Gemeindearchivs über das Vorkommen, die Auswirkungen und Maßnahmen von Seuchen und Epidemien früher in unserer Heimat?
Mitte des 14. Jahrhunderts (um 1347-1350) ereignete sich eine der verheerendsten Pandemien in Europa. Etwa 25 Millionen, das war ungefähr ein Drittel der europäischen Bevölkerung, starb innerhalb weniger Jahre. Die Pest war ausgebrochen. Man nannte diese Seuche auch den „Schwarzen Tod“ oder „das große Sterben“. Ausgelöst wird die Pest durch ein Bakterium, das über sogenannte „Zwischenwirte“ wie Ratten und deren Flöhe schließlich auf den Menschen übertragen wurde. Die Menschen bekamen Fieber, dann merkwürdige Beulen am ganzen Körper (Beulenpest), und bald danach starben sie. „In Schwaben (gemeint ist Württemberg) war keine Stadt, kein Kloster, kein Dorf, kein Weiler, kein Hof, keine Burg von dem schwarzen Tod verschont worden, ja, dass viele ganz ausgestorben, verödet und zerfallen seien“, so ein Zitat in Alfons Fischers „Geschichte des deutschen Gesundheitswesens“ .Da in Heilbronn die Pest in den Jahren 1348-1350 nachgewiesen ist, ebenso immer wieder in der Folgezeit (1358, 1388, 1399 sowie in vielen weiteren Jahren des 15. und 16. Jahrhunderts und auch noch von 1633-1636) ist davon auszugehen, dass die Bürger von Nordheim ebenfalls immer wieder von der Seuche betroffen waren. Es gibt allerdings darüber keine schriftlichen Aufzeichnungen. Unklar bleibt auch, ob es sich bei diesen massenhaften Infektionen tatsächlich immer um die Pest handelte, da der Begriff „Pest, Pestilenz, Schwarzer Tod“ letztendlich ein Sammelbegriff war, der auch bei massenhaftem Sterben durch Cholera, Typhus, Ruhr, Pocken, Masern, Scharlach usw. angewendet wurde.
Schriftliche Aufzeichnungen über Todesfälle in Nordheim gibt es ab dem 11. November 1574: Anno 1574 ist der Neu Kirchoff confirmiert und bestetigt worden, den 15. Novembris. Nota: 63 ligen im alten Kirchoff, die von Bartholomei (= 24. August) her verschiden sein. In diesem Jahr sind vom 11. November bis zum 31. Dezember 93 Menschen gestorben, die meisten davon waren Kinder. Diese hohe Zahl von Verstorbenen lässt bei einer Einwohnerzahl von knapp 500 Personen auf den Ausbruch einer Seuche oder Epidemie schließen. Darüber, welche Krankheit damals die Menschen in Nordheim hinwegraffte, ob Pest, Typhus, Diphterie, Pocken usw., kann man nur spekulieren. Ob der neue Friedhof außerhalb des Ortes (heute Alter Friedhof am Anfang der Bahnhofstraße) aus Platzgründen oder wegen der Angst vor Ansteckung außerhalb des Dorfes angelegt wurde, ist nicht mehr feststellbar. Bis dahin wurden die Verstorbenen in dem früher ummauerten Areal um die Kirche beerdigt.
Bei Beginn der Führung des Totenbuches wurden die Eintragungen kurz gehalten und noch keine Todesursache genannt. Später hat sich das geändert und die Ursache des Todes wurde meist angegeben. Die ersten Pestnennungen gab es 1584, 1594 und1598. Da dies Einzelfälle waren, kann man daraus nicht zwingend auf den Ausbruch einer Seuche schließen. So wird 1594 bei 43 von Anfang Oktober bis Ende Dezember Verstorbenen nur in einem Fall die Pest erwähnt. Da aber mehrmals mehrere Kinder (bis zu vier) einer Familie oder auch Vater, Mutter und Kind(er) starben, muss zumindest von einer hoch ansteckenden Krankheit ausgegangen werden.
Etwas anders aber war die Situation während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges 1618-48. Die Menschen litten unter schlechten Ernten, Teuerung, und die Einquartierung und der Durchzug zahlreicher Truppen führte zu Raub, Plünderung, Hunger und nicht zuletzt auch zur Pest. In Nordheim starben 1626 mehrere Bürger, darunter auch Pfarrer Jakob Walther, an der Pest. Auch sein Nachfolger Paul Strauß starb fünf Jahre später im November 1631 an der Pest.
Leider fehlen die Eintragungen im Nordheimer Totenbuch aus den Jahren 1600 bis 1644, sie beginnen erst wieder mit dem Jahr 1645. Ein schlimmer Ausbruch der Pest begann im Sommer 1634, erst 1636 verschwand die Krankheit wieder. In Heilbronn starben während dieser Zeit mehrere tausend Menschen an der Seuche. Viele Bewohner flüchteten damals aus der verpesteten Stadt, u.a. auch Kaiser Ferdinand II., der damals von Heilbronn aus seine Kriegsgeschäfte gegen Frankreich betrieb. Er flüchtete über Philippsburg und weiteren Zwischenstationen nach Ellwangen. Viele Nordheimer Einwohner flüchteten nach Brackenheim, wo im Totenregister von 1634 bis 1637 viele verstorbene Nordheimer eingetragen sind. In Brackenheim fühlten sich die Menschen wegen der Ummauerung sicherer vor dem Feind, außerdem gab es dort ein Spital, eine Apotheke (Stadtapotheke seit 1617) und Ärzte. Allerdings floh der Brackenheimer Vogt Johann Wendel Kurrer im September 1634 nach Heilbronn, weil er sich dort sicherer fühlte. Unter den in Brackenheim eingetragenen 33 Nordheimer Todesopfern befanden sich 23 Kinder, 8 Frauen und 2 Männer. Diese Verteilung deutet darauf hin, dass man vor allem Frauen und Kinder zu deren Schutz nach Brackenheim gebracht hatte. Zu den Todesopfern gehörte der Schulmeister Jacob König und seine beiden Kinder, ein 12jähriger Bub und ein Mädchen im Alter von 14 Jahren sowie die Witwe des bereits 1631 verstorbenen Pfarrers Paul Strauss und ihr achtjähriger Sohn.
In hiesigen Kirchenkonventsprotokollen findet man für 1664 und 1667 den überlieferten alten Brauch der „Knöpflesnächte“ , in denen Buben mit Erbsen und Steinen an die Fenster schmissen und diese dabei manchmal auch kaputtwarfen. 1667 mussten deswegen die Söhne des Hans Lehr und Hans Fleckler je 7 ½Kreuzer Strafe bezahlen. Dieser Brauch stammt möglicherweise aus Pestzeiten, als man sich durch das Bewerfen von Fenstern vergewisserte, ob die Hausbewohner darauf reagieren und damit anzeigten, dass sie noch am Leben waren.
Zu einer der gefährlichsten und ansteckendsten und v.a. lebensbedrohlichen Krankheiten gehörten früher die Pocken, auch Blattern genannt wegen der für die Erkrankung typischen Hautbläschen. Immer wieder gab es auch in Nordheim Ausbrüche dieser Krankheit, die vielen Kindern das Leben kostete. So starben zum Beispiel 1791 acht Kinder, 1798 von Januar bis April 43 Kinder und von November 1802 bis März 1803 starben 33 Kinder an den „Blattern“ oder „Kindspocken“. In Altwürttemberg, zu dem Nordheim gehörte, wurde ab 1798 die Impfung gegen Pocken empfohlen. Seit 1802 impfte man einen aus Kuhpocken gewonnenen Impfstoff mit großem Erfolg, so dass die Krankheit ab Mitte des 19. Jahrhunderts als ausgelöscht betrachtet werden kann. Einen letzten Ausbruch gab es in Nordheim Ende 1848/Anfang 1849. Die Gemeinde stellte „Wächter“ an insgesamt 13 verschiedenen Häusern auf, in denen in 17 Fällen die „Menschenpocken“ ausgebrochen waren. Niemand durfte das Haus verlassen oder ins Haus hineingehen. Drei Säuglinge starben an den Pocken sowie eine junge Frau im Alter von 23 Jahren, sie war erst seit 3 Monaten verheiratet.
Im Jahr 1831 drang die „Asiatische Cholera“ über Russland bis nach Preußen vor. Die Angst vor Ansteckung war vielerorts groß, und auch in Württemberg fürchtete man den Ausbruch der Cholera und leitete deshalb allerhand Vorbereitungsmaßnahmen ein. Für alle Gemeinden wurden Anordnungen erlassen, Krankenpfleger zu benennen, Räume für Erkrankte auszustatten und Zimmer für die Toten bereitzuhalten. In Nordheim dachte man, im Armenhaus 6-8, im Schafhaus 8-10 und in der Zehntscheune 40-50 Kranke unterbringen zu können. Außerdem mussten Gerätschaften („Requisiten“) wie Nachtstühle, Badzuber oder Bettflaschen bereitgestellt werden. Nach den Eintragungen im Sterberegister nach zu urteilen blieb Nordheim damals von der Cholera verschont.
Oft waren es ungünstige äußere Einflüsse wie Hochwasser mit Überschwemmungen, verseuchte Brunnen oder mangelnde häusliche Hygiene, die früher zu Krankheitsausbrüchen führten. Aber auch die Begegnung mit bereits infizierten Menschen, ob durchziehende Soldaten oder Bettler, Kontakte mit Händlern oder der Besuch eines auswärtigen Marktes konnten Ursache für eine Ansteckung sein. Bis dann die ersten Symptome auftraten bzw. bemerkt wurden, waren meist schon mehrere Mitmenschen angesteckt und die Krankheit breitete sich entsprechend aus. Über die Ursachen der Seuchen und darüber, wie und auf welche Weise die Erreger den Weg zu den Menschen finden, weiß man heute sehr viel mehr im Vergleich zu früher. Ebenso über mögliche Behandlungen und Maßnahmen. Durch vorbeugende Maßnahmen wie Impfung (Pocken), Röntgenreihenuntersuchung (1939 bis1983 zur Tuberkulosevorsorge) usw. konnten viele Krankheiten zurückgedrängt oder sogar ausgelöscht werden. Dass völlig neue Krankheiten wie Corona plötzlich auftreten können, und das nicht nur in fernen Ländern, sondern auch hier bei uns, ist eine ganz neue Erfahrung.
Ulrich Berger