Mitteilungsblatt Nordheim
Neues aus Nordheim und Nordhausen
Nordheimer Geschichte
Erfasst von: Redaktion, Aslan, Selin | 09.12.2025
Früher in Nordheim: Spinnen – Weben – Bleichen
Bei der Heirat brachte früher jeder der beiden Partner sein „Heiratsgut“ in die Ehe ein, das in einem schriftlichen Dokument genauestens erfasst wurde. Das Heiratsgut bestand in der Regel aus einem kleinen, eigenen Besitz und der „Mitgift“ der jeweiligen Eltern. Je nach Herkunft und Vermögenslage gehörte zur Mitgift bzw. Aussteuer Möbel, allerlei Hausrat, Weißzeug, Kleider, Betten und ggf. auch Grundstücke und Bargeld. Der Stolz einer Braut und künftigen Hausfrau war aber ihre schöne und gepflegte Wäsche im Schrank, teilweise hergestellt aus selbst angebautem Flachs oder Hanf und dem daraus gesponnenen Garn. Aber auch die Stoffe für Bekleidung und Haushaltswäsche (Tischtücher, Handtücher usw.) wurden früher selbst hergestellt. Auch wenn man den Flachs zukaufte, spinnen, weben und bleichen ließ, sprach man von hausgemachter Leinwand.

Ausschnitt aus einer Beibringungsinventur. Als „Zieche“ wurde ein Überzug bezeichnet, ein „Häupfel“ oder „Haipfel“ ist ein großes Kopfkissen (80x100cm). Früher war es üblich, dass auf das Haipfel noch ein prallgefülltes Paradekissen gelegt wurde. Das Paradekissen hatte man mit Stickereien oder anderen Verzierungen versehen und es diente nur zur Zierde.
Um diese Stoffe herstellen zu können, musste auf den Feldern genügend Hanf oder Flachs angebaut werden. Um 1880 wurde in Württemberg noch auf einer Fläche von rund 5000 Hektar Flachs und auf derselben Fläche Hanf angebaut. Von Bedeutung waren dabei die Stängel dieser Pflanzen, denn diese lieferten die zähen Fasern, die sich nach einer aufwändigen Vorbereitung anschließend mit dem Spinnrad zu Garn spinnen ließen. Vor dem Spinnen des Garnes musste der Flachs allerdings geröstet, gebrochen, geschwungen und gehechelt werden. Aus dem Garn fertigte der Weber dann ein feines und dauerhaftes Gewebe. Der Hanf lieferte mehr Haltbarkeit und Festigkeit (Seile, Säcke), feiner und schöner waren allerdings die Gespinste aus Flachs (Leinwand). Außerdem lieferten die Samen dieser Pflanzen Öl sowie Futter für die Tiere. Der Flachsanbau ging im 19. Jahrhundert immer mehr zurück, bis er um 1900 nahezu ganz versiegte und der Flachs durch die ausländische Baumwolle ersetzt wurde.

Gesponnen wurde vor allem in den Wintermonaten. Die Frauen und Mädchen trafen sich abwechselnd bei einer anderen Gastgeberin, damit sie zusammen spinnen, sticken, stricken - aber auch singen und schwätzen konnten. Im 20. Jahrhundert nannte man diese Treffen Vorsitz, in früheren Zeiten wurden sie Lichtkärz, Kunkelhaus oder Lichtstube genannt. Diese Treffen hatten auch für junge Burschen eine große Anziehungskraft, da man sich hier bei schummrigem Licht dem anderen Geschlecht annähern konnte oder auch seine Angebetete bei Nacht nach Hause begleiten konnte. In den Kirchenkonventsprotokollen des 17. bis 19. Jahrhunderts findet man zu diesen Treffen häufig Kritik und Mahnungen des Pfarrers bis hin zum Verbot dieser Abende, so z.B. 1675 und 1680 (Anmerkung: Der Kirchenkonvent war ein örtliches Sittengericht in Württemberg zwischen 1642 und 1891):
Anno 1675 den 1. Decembris ist censur gehalten wordten in beysein der gewohnlichen censur richtern, dabey clagbar vorkommen, das Hanß Franckh des nachts einen vorsitz in seiner stube leide, da ein groses getümmel und gugelfuhr vorgehe, das mans in allen nachtbarshäusern hören könne, worüber sich die nachbar beschwert, darüber er verhöret und damit sich entschuldigen wollen, es seyen seine döchter und söhnerin, es könne ihnen das hauß nicht verbiethen, weil sich aber befunden, das nicht nur seine döchter, sondern auch andere freche und gaile weiber darinnen zusamen kommen, dero gröste verrichtung seye, die leuth außzurichten, alß ist ihme Hanß Franckhen bey einer straf eines pfundt hellers abzustellen uferlegt wordten, frembde weiber auß dem hauß zu laßen.
03.12.1680 Den 3ten Decembris ist censur gehalten wordten in gegenwarth der gewohnlichen censur richtern. Bey diser censur sindt uf ein newes die nächtliche kärzt oder kunckhelstuben abgeschafft und verbotten wordten.
Nach dem Spinnen des Garnes musste dieses noch gewaschen und ggf. gefärbt werden, bevor es der Weber weiterverarbeiten konnte. In Nordheim gab es im 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche Weber. Im Vergleich zu anderen Handwerkern wie Schmiede, Bäcker oder Schuhmacher waren es auffällig viele Weber. Vermutlich liegt die Ursache in der in unserer Gegend üblichen Realerbteilung, in deren Folge es immer mehr Klein- und Kleinstbauern gab, deren Betriebsgröße nicht mehr zur Existenzsicherung ausreichte. Man suchte einen Nebenverdienst und probierte es mit der Weberei. In einigen Familien ist das Weberhandwerk über mehrere Generationen nachweisbar, so zum Beispiel bei den Familien Göhrung oder Rothweiler. Wie alle früheren Handwerker bewirtschafteten die Weber auch noch nebenbei einige Äcker und Weinberge. Die meisten Weber lebten in bescheidenen Vermögensverhältnissen, gearbeitet wurde in einer kleinen Webkammer oder im Webkeller. Für das Garn war eine feuchte Umgebung günstig, damit es geschmeidig blieb. Für den Weber aber waren diese Bedingungen eher ungesund. Hergestellt wurden Leinwandstoffe in verschiedenen Qualitäten, und zwar:
- als gemeine Hausleinwand; das waren schwere, dauerhafte Stoffe, ungebleicht
- bessere Leinwand oder Handelsleinwand; das waren mittelfeine bis feine, selten hochfeine Stoffe
für Hemden, Taschentücher usw., gebleicht
- Leinendrill (sehr fester und dichter Stoff), Sack- und Packleinwand (für Mehl- und Fruchtsäcke)
Leinen- und Hanffasern wurden im naturfarbigen Zustand versponnen und verwebt, so dass die fertigen Gewebe gelblich bis graubraun waren mit einem matten Glanz. Um die fertigen Tuche oder Waren auf den gewünschten Weißgrad aufzuhellen, musste man sie bleichen. Für diesen Zweck gab es in jedem Ort in der Nähe eines Flusses, Baches oder Teiches eine Wiese zum Bleichen. Frisch gewebte, aber auch durch Gebrauch verschmutzte Textilien wurden dort flach ausgelegt oder aufgespannt und kontinuierlich feucht gehalten. Durch Besprengen der Textilien mit Pottaschelaugen wurden außerdem fettige Bestandteile entfernt. Die Bleichwirkung konnte durch Behandlung mit saurer Milch, dem sogenannten Ansäuern, verstärkt werden. Die Rasenbleiche war ein sehr zeitaufwändiger Prozess. So konnte die Rasenbleiche bei Leinen bis zu sechs Monate dauern. Solche Bleichwiesen gab es in Nordheim am Ufer des Katzentalbaches, und in Heilbronn kennt man heute noch den Begriff “Bleichinsel“ am Neckar.
Der fertige Leinenstoff ist sehr gut haltbar und nass sogar widerstandsfähiger als trocken. Leinen kann Feuchtigkeit leicht aufnehmen und gibt sie auch wieder gut ab. Schon früher wussten die Menschen um diese kühlende Eigenschaft des Leinens, doch geriet der Stoff nach und nach in Vergessenheit. Mittlerweile ist der edle Stoff wieder ein must have für den Sommer, und in südlichen Ländern oder den bekannten Urlaubsinseln sind dünne Leinenhemden oder Leinenblusen ein Verkaufsschlager.

Manche junge Frau hatte eine Nähschule besucht und konnte ihre Bett- und Tischwäsche selbst nähen. Eine andere Möglichkeit war, einer der im Ort ansässigen Näherinnen den Auftrag zu erteilen, das Weißzeug für die Aussteuer zu nähen. Das Sticken lernten die Mädchen oft schon in der Schule, so dass jedes fertige Wäschestück mit dem jeweiligen Monogramm und manchmal auch noch mit hübschen Verzierungen versehen wurde.


Mit einem unglaublichen Zeitaufwand haben Frauen früher Wäscheteile wie z.B. Tischdecken bestickt und verziert und individuell gestaltet. Die Wertschätzung für diese Wäsche war entsprechend hoch, da man wusste, wieviel Arbeit investiert wurde von der Rohware bis hin zum fertigen Endprodukt.



Ein gut sortierter und gefüllter Wäscheschrank war dann der Stolz einer Hausfrau. Oft wurde die „gute Wäsche“ geschont, man wollte sie möglichst lange geschützt aufbewahren „für später“, oder aber - um sie hin und wieder auch stolz vorzeigen zu können! Als Beispiel sei hier der Wäscheschrank von Frida Kühner gezeigt. Bei der Aufnahme dieses Bildes 1991 war Frau Kühner 88 Jahre alt. Ein Teil der Wäsche war aus eigenem Flachs gesponnen und gewoben. Viele Stücke lagerten noch unbenutzt und wie neu im Schrank, versehen mit einem rotem Schmuckband und Schleife. Auf den vier Einlegeböden waren vorne gestickte Bänder angebracht mit folgendem Text:
Was Mütterlein mir einst beschert
halt ich in diesem Schranke wert.
Soll glatt und fein geordnet sein
Wie’s einstens hielt mein Mütterlein.
Dieser Schrank wurde im Sommer 2009 an das Museum für Volkskunde in Waldenbuch abgegeben mit der Zusage, dass er dort ausgestellt wird. Damit sollte die Zukunft dieses besonderen Stückes dauerhaft gesichert werden.
Den Anbau von Hanf und Flachs zur Herstellung von Stoffen für den Eigenbedarf gibt es heute nicht mehr. Der Beruf des Webers ist, wie manch anderer Beruf auch, nahezu ausgestorben. Auch das Sticken und Nähen wird nur noch im Hobbybereich betrieben. Bettwäsche, Kleidungsstücke usw. werden zum großen Teil im Ausland gefertigt und als Billigware importiert. Die Qualität und die Nutzungsdauer sind im Vergleich zu früher gering, eine Reparatur lohnt sich meist nicht. Durch diese Entwicklung hat die Wertschätzung für Wäsche, Kleidung und Textilien ganz allgemein, stark abgenommen. Den Begriff der „Aussteuer“, der früher von großer Bedeutung war, kennen junge Menschen von heute gar nicht mehr.
Ulrich Berger
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