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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen

Nordheimer Geschichte April 2024

Erfasst von: Redaktion, JJ | 18.04.2024

Erinnerungen und Interessantes über Bodenwaagen und Waagmeister

„Betrieb der Bodenwaage eingestellt“ - so lautete die Überschrift auf der Titelseite des Mitteilungsblattes vom 4. Februar 1982. Was ist eine Bodenwaage, wer hat sie wofür benutzt, wer hat sie betrieben, seit wann gibt es diese Einrichtung? Solche und noch mehr Fragen tauchen zu dieser Überschrift auf.

Die 1982 aufgegebene Waage in der Bahnhofstraße, an die sich bestimmte noch einige ältere Nordheimer erinnern, war bereits die dritte Bodenwaage in unserem Dorf. Sie wurde im Oktober 1950 an dieser Stelle als Nachfolgerin der Fuhrwerkswaage am Marktplatz in Betrieb genommen. Die Vorgängerwaage befand sich an der Südseite des Marktplatzes vor dem Hofgut (heute Rathaus). Diese erste Waage mitten im Dorf wurde dort bereits 1881 eingerichtet. 1931 hat man sie wegen Altersschwäche durch eine gebrauchte Waage ersetzt, die bis Mitte der 50er Jahre genutzt wurde. Im Juni 1956 beschloss der Gemeinderat, diese Fuhrwerkswaage am Marktplatz nicht mehr eichen und reparieren zu lassen, da die Instandsetzungskosten zu hoch gewesen wären. An ihre Stelle trat die 1982 stillgelegte Waage in der Bahnhofstraße. Mit der Stilllegung und dem Abbau dieser Waage neben dem Gasthaus „Ochsen“ endete 1982 die Geschichte von drei verschiedenen Bodenwaagen, die in Nordheim etwa 100 Jahr lang benutzt wurden.

Waaghäuschen mit Bodenwaage in der Bahnhofstraße. Im Hintergrund das Gasthaus „Ochsen“.
Waaghäuschen mit Bodenwaage in der Bahnhofstraße. Im Hintergrund das Gasthaus „Ochsen“.

Die erste Bodenwaage:
Der erste Anstoß zum Bau einer „befahrbaren Brückenwaage“ kam im Jahr 1881 von der Zuckerfabrik in Heilbronn. Die Zuckerfabrik AG Heilbronn war die erste Heilbronner Industrie-Aktiengesellschaft, gegründet 1853 von einem Konsortium einheimischer und auswärtiger Unternehmer. Mit der Zuckerproduktion wurde am 15. Januar 1855 begonnen. Klima und Bodenbedingungen rund um Heilbronn waren für den Zuckerrübenanbau günstig, sodass auch in Nordheim und Nordhausen die Landwirte im Zuckerrübenanbau eine gute Erwerbsquelle für sich sahen. Bereits in der Oberamtsbeschreibung von Brackenheim aus dem Jahr 1873 steht bei der Beschreibung von Nordheim zu lesen: Zum Anbau kommen….sehr viel Zuckerrüben, theils zur Viehfütterung, theils zur Zuckerfabrikation…
Die Landwirte mussten ihre Rüben eigenständig zur Fabrik nach Heilbronn bringen. Für einen Zentner sauber geputzter, von der Blattkrone befreiter Zuckerrüben wurden 28 Kreuzer bezahlt. Entsprechend der Anbauquote konnte der Bauer sich mit dem nötigen Saatgut versehen. In dieser Situation machte die Zuckerfabrik der Gemeinde Nordheim ein interessantes Angebot, das am 2. April 1881 vor dem Gemeinderat und dem Bürgerausschuss verhandelt wurde: Für die Verbesserung des Zuckerrübenanbaus bietet die Zuckerfabrik an, in Nordheim eine Brückenwaage (= befahrbare Fuhrwerkswaage) aufzustellen, wenn die Gemeinde die Hälfte der Kosten, etwa 600 Mark, übernimmt. Außerdem muss die Gemeinde unentgeltlich den Platz für ein Waaghäuschen und für die Waage bereitstellen sowie einen Platz zum Lagern und Verladen der Zuckerrüben. Die Waage kann von der Gemeinde das ganze Jahr über betrieben werden mit Ausnahme der Waaghäuschen mit Bodenwaage in der Bahnhofstraße. Im Hintergrund das Gasthaus „Ochsen“.
Zeit der Zuckerrübenannahme. Während dieser Zeit steht die Waage komplett der Zuckerfabrik zur Verfügung. Auch für Wiegungen die das Hofgut betreffen, dürfen keine Kosten anfallen, denn das Seybold’sche Hofgut wurde bereits seit 1868 von der Zuckerfabrik im Pachtbetrieb bewirtschaftet. Vielleicht spielte im Hintergrund auch Wilhelm Seybold selbst eine Rolle, da er eine größere Geldsumme in Aktien der Zuckerrübenfabrik Heilbronn investiert hatte. Auf dieser vorgeschlagenen Basis kam es 1881 zu einer grundsätzlichen Einigung zwischen der Zuckerfabrik Heilbronn und der Gemeinde Nordheim über die Errichtung einer Brückenwaage/Fuhrwerkswaage. Brückenwaagen sind so konstruiert, dass sie über einer Grube installiert werden, in der sich Hebel und andere mechanische Komponenten befinden. Der Ausgleichsmechanismus für die Wägeplattform befindet sich in einem Waaghäuschen, wo die Gewichtsermittlung stattfindet.

Als Platz zur Aufstellung der Nordheimer Waage wählte man „den Raum vor dem Kaufmann Auch’schen Garten“, das war an der Südseite des Marktplatzes vor dem Hofgut. Der Lager- und Verladeplatz für die Zuckerrüben war am Bahngleis neben dem Bahnhof Richtung Klingenberg.

30a: (Marktplatz) Eine 1881/82 erbaute befahrbare Brückenwage mit Waaghäuschen auf Sockelgemäuer, Bretterwände und Zinkdach
30a: (Marktplatz) Eine 1881/82 erbaute befahrbare Brückenwage mit Waaghäuschen auf Sockelgemäuer, Bretterwände und Zinkdach

Zum ersten Ortswäger oder Waagmeister wurde am 1.2.1882 Christian Göhrung ernannt, Grundlage für die Gebührenerhebung war die erlassene Waagordnung. Später waren weitere Waagmeister die Schmiedemeister Richard und Hermann Frank sowie der Schuhmachermeister Ludwig Wolf. Für die Person des Wägers an öffentlichen Waagen gab es folgende Vorgaben: An einer öffentlichen Waage dürfen nur öffentlich bestellte Wäger beschäftigt werden. Der Wäger muss mindestens 21 Jahre alt sein und ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis vorweisen. Der Wäger muss die erforderliche Sachkunde durch eine Prüfung beim zuständigen Eichamt nachweisen. Die Ergebnisse der Wägungen müssen im Waagbuch korrekt eingetragen werden. Die Waaggebühren werden in der Waagordnung festgelegt, der Waagmeister erhält 50% der Gebühren als Entschädigung. Auswärtige Nutzer der Waage bezahlen einen Aufschlag von 50%.

Das Waagbuch musste sorgfältig vom Waagmeister geführt werden
Das Waagbuch musste sorgfältig vom Waagmeister geführt werden

Für die Zuckerrübenanbauer in Nordheim und Nordhausen konnte alsbald eine günstige Ablieferungsform gefunden werden. Sie brachten die gefüllten Wagen zum Marktplatz. Dort war eine Waage aufgestellt, mit der das Gewicht der Rüben samt Wagen festgestellt wurde. Am Bahnhof war eine Verladestation eingerichtet, wo die Zuckerrüben in einen Güterwagen eingeladen wurden. Der leere Wagen musste dann am Marktplatz wieder auf die Waage (Doppelwiegung). So ermittelte man das Gewicht der abgelieferten Rüben. Die Zuckerrüben wurden vom Bahnhof Nordheim mit dem Güterwagen zum Güterbahnhof Heilbronn gebracht, von wo sie mit einer Drahtseilbahn über den Neckar zur Zuckerfabrik befördert wurden. Erst im Jahr 1900, als die Bottwartalbahn bis Heilbronn fuhr, erhielt die Zuckerfabrik einen eigenen Gleisanschluss.

Während des Jahres konnte die Gemeinde frei über diese Waage verfügen, nur ab der Zuckerrübenernte oblag die Abwicklung an der Waage der Zuckerfabrik. In den ersten Jahren nach der Errichtung der Waage wurden vor allem landwirtschaftliche Produkte gewogen. Bei etwa 120 Wiegungen im Jahr lag der Schwerpunkt bei Heu und Stroh, gefolgt von Angersen, Kartoffeln und Holz. Später kam noch Rinde hinzu und ab 1883/84 zunehmend auch Koks. Dieser Brennstoff wurde mit der Bahn angeliefert und wurde auch von vielen Auswärtigen dort abgeholt und musste natürlich gewogen werden. Die auswärtigen Koksabholer kamen von Nordhausen, Hausen, Dürrenzimmern, Brackenheim, Cleebronn, Haberschlacht usw.

Die zweite Bodenwaage:
Infolge von Verschleiß und starker Verrostung musste 1925 die Höchstlast der hiesigen Waage auf 4000 kg herabgesetzt werden. Die schweren Lasten hatten im Laufe der Zeit zur Abnutzung der Hebel und Gelenke der Waage geführt, was ungenaue Ergebnisse beim Wiegen hervorbrachte. Das ist auch der Grund dafür, dass eine öffentliche Waage regelmäßig gewartet und auch vom Eichamt kontrolliert und nachgeeicht werden muss. Als 1931 die Nacheichung bevorstand und das Eichamt große Bedenken für den Weiterbetrieb der Waage anmeldete, wurde über eine Ersatzbeschaffung der alten Waage nachgedacht. Dabei zählte auch das Argument, dass man künftig eine höhere Traglast berücksichtigen müsse, da auch Autos (LKW) auf die Waage kommen werden. Die Überlegungen führten schließlich zu dem Beschluss, dass 1931 eine gebrauchte Brückenwaage mit einer Tragkraft von 7600 kg als Ersatz für die alte Waage von 1881 angeschafft wurde. Die Zuckerfabrik beteiligte sich zur Hälfte an den Kosten, alle bisherigen Vertragsmodalitäten blieben bestehen.

Bereits Ende der 30er Jahre wurde über eine weitere Waage, möglichst in Bahnhofsnähe, diskutiert. Sowohl für Zuckerrübenanlieferer als auch für Kohle- und Koksabholer war die Entfernung zwischen der Waage am Marktplatz und der Verladestelle am Bahnhof ungünstig. Auch der zunehmende Straßenverkehr wurde immer mehr beeinträchtigt durch Fuhrwerke. Die Lösung sollte eine weitere Fuhrwerkswaage in der Bahnhofstraße neben dem Gasthaus „Ochsen“ sein. Bürgermeister Wagner bestellte deshalb 1941 eine Waage mit einer Wiegefähigkeit von 15 000 kg, an deren Kosten sich auch wieder die Zuckerfabrik Heilbronn beteiligen wollte. Doch durch kriegsbedingte Materialnot kam es nicht zur Lieferung der dringend benötigten Fuhrwerkswaage. Erst einige Jahre nach Kriegsende konnte diese Waage 1950 am geplanten Platz beim Gasthaus „Ochsen“ eingerichtet werden. Im Juni 1956 beschloss der Gemeinderat, dass die Fuhrwerkswaage am Marktplatz nicht mehr repariert und geeicht werden soll. Sie konnte aber noch als Gebrauchtwaage nach auswärts verkauft werden.

Die dritte Bodenwaage:
Die neue Waage wurde im Oktober 1950 in der Bahnhofstraße aufgestellt, auch hier wieder mit finanzieller Beteiligung der Zuckerfabrik Heilbronn. Zum Waagmeister ernannte man den Sattlermeister Otto Bechtold, der dieses Amt bis zu seinem Tod 1978 innehatte. Dieser wohnte in der Bahnhofstraße 53 schräg gegenüber dieser Waage, was sehr praktisch war. Als Entlohnung erhielt er 50% der Waaggebühren. Sein Nachfolger wurde der Gemeindeangestellte Adolf Hagmaier. Gewogen wurden zunächst weiterhin hauptsächlich Produkte aus der Landwirtschaft wie Heu, Stroh, Mist, Getreide (Hafer, Gerste, Weizen), Trauben, Rüben, Kartoffeln, Gurken usw., aber auch die Brennstoffe Holz, Kohle und Koks. Durch die zunehmende Industrialisierung kamen dann immer mehr Fahrzeuge von Gewerbebetrieben zum Wiegen mit vielerlei verschiedenem Ladegut, z.B. mit Messingspänen, Aluspänen, Gussresten, mit Glasscherben, Alteisen und Schrott.

Skizze und Lageplan der Bodenwaage in der Bahnhofstraße
Skizze und Lageplan der Bodenwaage in der Bahnhofstraße

Zwischendurch erscheinen im Waagbuch dann auch Eintragungen über besondere Wägevorgänge. So wurde ein Feuerwehrauto, ein Wohnwagen oder auch ein Boot auf die Waage gebracht. Obwohl es im Ort an anderer Stelle seit 1940 eine spezielle Viehwaage gab, wurden auf der Bodenwaage auch Pferde, Rinder, Jungbullen und Schweine gewogen. In der Hochphase der Zuckerrübenablieferung stellten die Landwirte bereits in der Nacht ihre Traktoren mit Anhänger in der Bahnhofstraße ab, um am nächsten Morgen möglichst früh beim Wiegen an der Reihe zu sein. Manchmal reichte die Fahrzeugschlange von der Waage beim Ochsen bis zur Abzweigung der Lauffener Straße.

Die Waagefälle nahmen bis in die 60er Jahre immer mehr zu. Im Jahr 1961 waren es 367 an der Zahl, danach wurden es immer weniger. 1973 waren es noch 138, 1978 nur noch 66, davon waren über die Hälfte Kohlewiegungen. Mit Blick auf die hohen Kosten der 1981 anstehenden Nacheichung (ca. 2500 DM) bei sehr geringen Einnahmen aus den Waaggebühren erwog der Gemeinderat im Sommer 1981 die Aufhebung der Bodenwaage zum 31.12.1981. Hinzu kam, dass die Bundesbahn beschlossen hatte, den Wagenladungsverkehr am Bahnhof Nordheim zum 1.2.1982 zu beenden. Am 17. Juli 1981 beschloss der Gemeinderat, die Bodenwaage in der Bahnhofstraße zum 31.12. 1981 aufzugeben.

Damit war das Ende einer für die Bevölkerung von Nordheim und darüber hinaus einst wichtigen Einrichtung eingeläutet. Eine hundert Jahre alte Einrichtung war überflüssig geworden.

Ulrich Berger

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