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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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Geschichte des Monats Januar

Erfasst von: Redaktion, DS | 13.01.2022 – 20.01.2022

Vom Barbier und Chirurgus zum Wundarzt und Doktor der Medizin -

das Gesundheitswesen in Nordheim in früheren Zeiten (Teil 1):

Krankheiten, Missbildungen, Verletzungen, Unfälle, Schmerzen und Probleme bei einer Geburt gibt es seit Menschengedenken. Und in allen Kulturen bildeten sich durch erworbene Erfahrung schon früher Personen mit besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten heraus, bei denen die Betroffenen Hilfe suchen konnten: Feldscherer, Bader, Steinschneider, Bruchschneider, Starstecher, Chirurgus, Heiler, Medizinmann, Schamane usw. wurden diese je nach Kulturkreis und Zeitepoche genannt. Deren Bemühen bestand darin, den kranken Menschen zu helfen und ihre Gebrechen zu lindern oder zu heilen. Diese „Halbmediziner und Wundbehandler“ gehörten vom 14. bis zum 19. Jahrhundert zum öffentlichen Leben in Stadt und Land. Oft waren darunter aber auch Scharlatane und Kurpfuscher, die auf Jahrmärkten ihre Hilfe anboten und danach wieder verschwanden. Grundsätzlich fehlte es diesen „medizinischen Handwerkern“ an vier wichtigen Vorbedingungen für ein erfolgreiches Arbeiten, vor allem im Bereich der Inneren Medizin und der Chirurgie: Es fehlten die wichtigen anatomischen Grundkenntnisse, dann die Möglichkeit der Verhinderung von Wundinfektionen sowie Methoden für sachgemäße Narkose und zur Stillung von Blutungen.

 Die erste in Nordheim namentlich erwähnte Person, die aus diesem weiten Feld der „Heilberufe“ stammte, war der „Feldscherer“ (Feldscher) Christoph Cronecker, Sohn eines „Barbierers“. Ein Feldscher war kein akademisch gebildeter Medicus. Sein Wissen erlangte er als Lehrling, und die Feldscher und Barbiere gehörten zu den Handwerkern. Aus diesem Berufsstand entwickelte sich im Laufe der Zeit der „Chirurgus“ mit erweiterten medizinischen Kenntnissen, aber noch ohne Studium. Zu den Aufgaben eines Feldschers oder Barbiers gehörten u.a. der Aderlass und das Schröpfen, das Ausbrennen von Wunden mit einem Glüheisen, das Herausziehen von Kugeln, die Behandlung von Verrenkungen, das Ziehen von Zähnen, das Amputieren und diverse Wundbehandlungen. Christoph Cronecker heiratete am 18. April 1693 in Nordheim Maria Elisabetha Miller, die Tochter des verstorbenen Vogts zu Bietigheim, Philipp Jacob Miller. Cronecker starb 1736 im Alter von 73 Jahren „als vieljähriger Bürger und Chirurgus allhier“. Ebenfalls als Barbier und Chirurgus wird in dieser Zeit Johann Michel Raith erwähnt. Als er 1732 starb, war er 62 Jahre alt. Als weitere Nordheimer „Chirurgi“ erscheinen die Namen Christoph Ruoff (+1781) und Johann Carl Paret.

 

Etwas mehr erfährt man von dem 1736 nach Nordheim zugezogenen „Chirurgus“ Johann David Degele. Ihm gehörte das halbe Haus an der nordwestlichen Ecke des Marktplatzes (vor der Alten Kelter). Die andere Haushälfte gehörte Baltas Engelbrecht. 1755 kaufte der Chirurg Christoph Ruoff die Hälfte des Häuschens. David Degele hatte mit seiner Frau Juliane von 1736 bis 1748 sieben Kinder, von denen nur ein Mädchen überlebte, alle anderen starben als Kleinkinder. Auch bei Ruoff (+1781) überlebte von vier Kindern nur der jüngste Sohn Johann Christoph (*1758, +1808). Nach Degele lassen sich acht weiter Wund- und Hebärzte (= Geburtshelfer) in Nordheim nachweisen. Einige davon besaßen Äcker und Weinberge, sie waren „Nebenerwerbslandwirte“.

 

Bild Haus

 

Die beiden letzten Wundärzte waren Wilhelm Treuber und Adolf Stattmann. Treuber war tätig von 1846 bis 1870, danach trat Gustav Adolph Stattmann die Nachfolge des „tüchtigen und fähigen“ Wundarztes, Geburtshelfers und Leichenschauers Wilhelm G. F. E. Treuber an. Ebenso wie sein Vorgänger erhielt Stattmann ein jährliches Wartgeld von 150 Gulden. Zu seinen üblichen Pflichten gehörte es, neben der Leichenschau auch die hiesigen Ortsarmen, deren Krankheitskosten aus öffentlichen Kassen bezahlt wurden, unentgeltlich zu beraten und zu behandeln. Die Kosten für Medikamente und seine sonstige Auslagen bekam er allerdings erstattet.

 

Bild Rechnung

 

Bild Haus

Dieses Haus (heute Südstraße 6) gehörte Wundarzt Stattmann. Es lag früher „außen im Dorf an der neu angelegten Straße im Brenngässle“. Die Südstraße gab es damals noch nicht.

 

Nach dem Tod von Wund- und Hebarzt Adolph Stattmann gab es diese Stelle in Nordheim nicht mehr. Das Amt des Leichenschauers wurde dem Totengräber Wilhelm Frank übertragen. Die ärztliche Betreuung für die Nordheimer Bevölkerung oblag nun für viele Jahre auswärtigen Ärzten, die entweder an bestimmten Tagen oder auf dringende Anforderung nach Nordheim kamen, vor der Motorisierung z.B. mit der Pferdekutsche.

 

Bild Karte Markplatz

Karte aus den 1920er Jahren

Kutsche mit Doktor Schmid. Blick vom Marktplatz in die Kirchstraße

 

Einfache medizinische Dienste oder erste Hilfe in Notfällen leisteten früher auch die am Ort vorhandenen und entsprechend ausgebildeten Sanitäter, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg. Bei der Einwohnerschaft war bekannt, welcher Mann beim Militär eine Sanitätsausbildung gemacht hatte. So holte man bei diesen Sanitätern im Notfall Hilfe, denn meist hatten diese auch das erforderliche Verbandmaterial zur Hand. Hilfreich war auch die Gründung eines Krankenpflegevereins 1901, durch dessen Unterstützung ab 1903 eine Krankenschwester der Ev. Diakonissenanstalt Schwäbisch Hall in Nordheim fest angestellt werden konnte. Ihre Dienstwohnung erhielt die Diakonisse von der „Seybold van den Velden’schen Stiftung“ im Dachgeschoss des Kindergartengebäudes in der Hauptstraße zur Verfügung gestellt.

 

Bild Krankenpflegeverein

Die Menschen vermieden oft auch den Arztbesuch, weil sie nicht oder schlecht versichert waren. Die Inanspruchnahme der Krankenschwester war dagegen für Mitglieder kostenlos oder zumindest sehr preiswert. Der Krankenpflegeverein besaß auch diverse Gerätschaften zur Pflege wie z.B. Krücken, einen Nachtstuhl oder ein Pflegebett. Mitglieder des Krankenpflegevereins konnten diese bei Bedarf ausleihen. Heutzutage werden diese Dinge ärztlich verordnet und ein Fachgeschäft für Reha oder Orthopädie liefert den entsprechenden Artikel frei Haus. Früher holte man das Bett mit dem Leiterwagen oder einem Anhänger bei der Schwester oder beim letzten Benutzer selbst ab. Lange Zeit war es üblich und Tradition, dass man mit der Heirat und Gründung einer Familie auch Mitglied im  Krankenpflegeverein wurde. Diese Zeiten sind längst vorbei, und auch den Krankenpflegeverein in dieser Form gibt es nicht mehr. Viele seiner Aufgaben wurden inzwischen von der Diakonie- und Sozialstation oder von privaten Pflegediensten und anderen Anbietern übernommen.

 

Bild Schwester Maria
Die letzte Diakonissenschwester war Schwester Maria Rösch, die von 1953 bis 1988 ihren Dienst in Nordheim versah. Sie kümmerte sich um alle Menschen, die Hilfe nötig hatten. Ob alt, krank und gebrechlich oder Kind – von der Wundbehandlung über die Fußpflege oder kleinere hauswirtschaftliche Hilfen bis hin zur Begleitung Sterbender: Schwester Maria war einfach für alles zuständig. Geregelte Dienstzeiten mit festem Feierabend hatte sie dabei nicht.

 

Bis zur Gründung der ersten Hausarztpraxis in Nordheim war die Bevölkerung bis nach dem Zweiten Weltkrieg gezwungen, sich an auswärtige Ärzte zu wenden. Bekannt sind dabei z.B. die Namen Dr. Elsässer oder Dr. Romberg aus Brackenheim. Der erste akademisch ausgebildete Arzt in Nordheim war Dr. Hans Nerbel, der sich im Mai 1946 hier niedergelassen hat. Seine erste Praxis befand sich im Marval’schen Landhaus, unserem heutigen Rathaus. Zu Hausbesuchen kam Nerbel anfangs mit dem Motorrad, später mit seinem VW-Käfer. Ein Arzt musste damals rund um die Uhr erreichbar sein, eine Sonntagsvertretung oder einen Anrufbeantworter gab es nicht. Hans Nerbel führte seine Praxis bis 1977. Von den 31 Jahren seines Wirkens in Nordheim war er fast 27 Jahre der einzige Arzt am Ort.

Am 6. November 1972 eröffnete Dr. Dieter Knoll in der Bahnhofstraße (später Imenstraße) eine Hausarztpraxis. Damit trat spürbare Entlastung für Dr. Hans Nerbel ein. Die Praxis von Dr. Nerbel wurde im Oktober 1977 von Dr. Wunigar Wallentin in den früheren Räumen der Praxis von Dr. Knoll übernommen, der inzwischen in sein neu erbautes Haus in der Imenstraße

umgezogen war.

 

Bild Werbung Praxiseröffnung

 

 

Bild Werbung Praxiseröffnung

1987 kam schließlich mit der Praxis von Dr. Monika und Dr. Kurt Pytlik in der Hauptstraße noch eine weitere Hausarztpraxis hinzu, so dass die ärztliche Grundversorgung in Nordheim gesichert war. Diese Praxis wurde allerdings ruhestandsbedingt im Frühjahr 2021 geschlossen. Aus der Praxis von Dr. Knoll wurde die Praxis Dr. Müller/Köhler. Auch die ehemalige Praxis Wallentin hat sich weiterentwickelt und ist umgezogen, sie befindet sich heute im „Ärztehaus“ Ecke Hauptstraße/Kirchstraße mit den Ärztinnen Ramak Haghir/Dr. Michaela Geiger. Neu hinzugekommen ist in diesem Gebäude 2021 noch die Praxis von Dr. Jochen Xander/Dr. Diana Roder.

 

Bild Dr. Knoll, Wunigar und Nebel

Verabschiedung von Dr. Hans Nerbel im Oktober 1977: Dr. Dieter Knoll, Dr. Hans Nerbel und Dr. Wunigar Wallentin

 

Wie in vielen anderen Bereichen hat sich auch bei der medizinischen Versorgung vieles gegenüber früher verändert. Bei Unfällen oder Notfällen (z.B. Schlaganfall, Herzinfarkt) werden heute eher der Notarzt und der Krankentransport gerufen, denn der Hausarzt ist nicht rund um die Uhr erreichbar. Hausbesuche sind seltener geworden, da sich schwerkranke Patienten nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus befinden. Viele Behandlungen werden von Fachärzten übernommen, deren Netz im Laufe der Jahre in der Umgebung von Nordheim recht gut ausgebaut wurde. Auch als Geburtshelfer wird der Hausarzt kaum noch benötigt, weil Hausgeburten inzwischen selten geworden sind. Trotzdem sind unsere Ärzte in Nordheim gut ausgelastet und können sich über Mangel an Patienten bzw. Arbeit nicht beklagen. Und die Bevölkerung ist froh und dankbar, dass es eine gute medizinische Versorgung durch Ärzte und Ärztinnen am Ort gibt.                                                                                                         Ulrich Berger

 

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