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Mitteilungsblatt Nordheim

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Geschichte des Monats August 2020

Erfasst von: Redaktion, DS | 06.08.2020 – 13.08.2020

Die Entstehung der ersten Kaufläden in Nordheim

Wer heutzutage in Nordheim einkaufen möchte, dem stehen viele Möglichkeiten offen: Vom Discounter über den Vollsortimenter, den Metzger- und Bäckerladen bis hin zum Wochenmarkt und den Hofläden besteht ein großes Angebot an Einkaufsmöglichkeiten. Daneben gibt es weitere Geschäfte wie Apotheke, Gärtner, Raumausstatter, Optiker, Unterhaltungselektronik, Schreib- und Spielwaren, einen Getränkemarkt sowie ein Mischgeschäft in Form eines Bau- und Gartenmarktes inklusiv Haushaltwaren. Das gab es früher so nicht. Was derzeit allerdings noch fehlt und vor Jahren aber vorhanden war sind Geschäfte für Oberbekleidung und Schuhe sowie eine Drogerie.

Wie aber begann die Geschichte der Kaufläden in Nordheim? Wann gab es wo den ersten Laden, was konnte man dort kaufen? Wer hat ihn betrieben? Diese Fragen sind gar nicht so leicht zu beantworten - je nachdem, wie weit man zeitlich zurückgehen will und kann. Bei der steuerlichen Neueinteilung des ganzen Dorfes im Jahr 1718 folgt nach § 32 „Wirtschaften“ (3) der

§ 33 „Grämpplereien“ mit der Meldung „0“. Gemeint ist mit dem Wort „Krämplerei“ der Handel mit Verbrauchsgegenständen wie „Victualien“ (= Lebensmittel). In Krämplerei steckt auch der Begriff „Kram“ und „Krämer“, das ist ein Kleinhändler, der allerlei Kram bzw. Waren verkauft. Ein solches Geschäft gab es 1718 in Nordheim mit Sicherheit nicht. Um den Status der Städte zu erhalten und zu festigen, durften anspruchsvolle Waren ohnehin nur in der Stadt verkauft werden. Die württembergische Landordnung legt bereits 1621 fest: „In Dörfern darf kein Handel mit Tuch, Barchet, Sammet, Seyden, Gewürz, auch Salz getrieben werden“. Woher bekamen dann damals die Menschen ihre Güter und Waren?

 

Alle Einwohner des Dorfes waren weitgehend Selbstversorger. Der „Krautgarten“ beim

Haus oder am Ortsrand sowie allerlei Kleinvieh garantierte die Grundversorgung mit Nahrungsmittel. Brot wurde aus eigenem Mehl im Backhaus gebacken, Wurst, Schmalz und Fleisch lieferte das Hausschwein. Von großer Bedeutung waren die Vorratshaltung und die Konservierung der Lebensmittel. Früchte mussten getrocknet, Fleisch und Wurst geräuchert oder gepökelt werden.

 

 

 

Einmachen durch Kochen in Gläsern gab es im 19. Jahrhundert noch nicht, deren Siegeszug begann erst um die Wende zum 20. Jahrhundert. Die Konservendose wurde zwar schon vorher erfunden, war aber problematisch wegen des Verschlusses, der meist mit Blei verlötet wurde. Erst durch die Dosenverschließmaschine mit Umbördeln wurde die Dose etwa ab 1900 auch zum Erfolgsprodukt. Zuvor aber blieb fast nur die Möglichkeit der Konservierung durch Trocknen oder Einlegen von Früchten, Fleisch, Kraut oder Eier in Steinzeug- oder Tonständer.

Was also mussten die Menschen im 18. und 19. Jahrhundert dann überhaupt noch einkaufen? Machte der Schuhmacher doch die Schuhe, der Schneider nähte die Hosen und die Lebensmittel produzierte man selbst. Allzu viel war es sicher nicht, und das Geld war ohnehin knapp. Brauchte man aber doch einmal einen neuen Steinzeugtopf, einen neuen Hut oder Stoff für ein besonders hübsches Kleid, war der Gang zum Markt angesagt. Für die Nordheimer Bevölkerung kamen hier vor allem die Märkte in Brackenheim und Heilbronn in Betracht. In Heilbronn gab es verschiedene Märkte, vor allem aber seit 1770 im Februar den Pferdemarkt, wo der Bauer z.B. allerlei Gerätschaften wie etwa ein neues Kummet für sein Zugvieh kaufen konnte. Oder einen neuen Wein- oder Mostkrug oder einen Topf für die Morgensuppe. Sicherlich war damals so ein Markttag etwas Besonderes und jedes Mal ein Erlebnis. Der Heilbronner Schultheiß Heinrich Titot schrieb 1841: „…aber auf den Dörfern waren noch keine Kaufläden, und jeder suchte sein Bedürfnis in der Stadt.“

 

Von zwei Kaufläden in Nordheim ist 1873 die Rede in der Oberamtsbeschreibung von Brackenheim. Ab 1890 finden wir im Ortsarchiv Rechnungen aus Nordheimer Kaufläden. Ältere Rechnungen vor 1890 wurden leider bei einer Aktenausscheidung vernichtet. Entscheidend für die Gründung und Entwicklung von Kaufläden auf dem Lande waren der Beginn der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts und die damit verbundenen Veränderungen in der Lebensweise der Menschen. Bedingt durch die bei uns übliche Realerbteilung wurden manche landwirtschaftliche Betriebe derart zersplittert, dass die Betriebsgröße nicht mehr ausreichte um eine Familie zu ernähren. Einen Ausweg sahen einige Nordheimer in der Auswanderung. Manche suchten aber auch Arbeit in einer Fabrik, und die Landwirtschaft wurde nur noch im Nebenerwerb betrieben. Zahlreiche Fabriken sind im Laufe des 19. Jahrhunderts in Heilbronn, Neckarsulm und Sontheim entstanden, in denen Nordheimer Bürger Beschäftigung fanden: Ackermann Sontheim (ca. 1868), Zuckerfabrik HN (1855), Salzwerk HN (1883), Seifenfabrik Flammer (1871), Wolff & Co. (1854), Silberwaren Bruckmann (1805), Knorr (um 1875), Weipert & Söhne (1869), NSU (ab 1880 Strickmaschinen, 1886 Fahrräder, 1901 Motorräder), Schuhfabrik Wolko, Sontheim (ab 1890). Noch viele weitere Fabriken und Branchen sind in dieser Zeit in Heilbronn entstanden (Papierverarbeitung, Spirituosenherstellung, Brauereien, Landmaschinenherstellung u.v.m.), in denen auch ungelernte Arbeitskräfte eine Arbeitsstelle finden konnten, und zwar Männer und Frauen. Ab 1848 benutzten einige Pendler die am 25. Juli 1848 eingeweihte Eisenbahnlinie nach Heilbronn, manche gingen auch weiterhin zu Fuß, um Geld zu sparen. Zu Beginn des 20. Jahrhundert kam dann das Fahrrad als Fortbewegungsmittel auf, mit dem dann viele nach auswärts zu ihrer Arbeitsstelle fuhren.

In Nordheim bot das Sägewerk Uhland ab 1804 Arbeitsplätze an, weitere industrielle Arbeitsplätze gab es in Nordheim erst ab 1907 und 1913 in den Schuh- und Strickwarenfabriken in der Bahnhofstraße (später Fa. Eberhard und Fa. Schneider).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit diesen Veränderungen in der Arbeitswelt gingen aber auch Veränderungen in vielen anderen Lebensbereichen einher. Man benötigte mehr und andere Wohnungen für Arbeiter, die Koch- und Essgepflogenheiten veränderten sich durch die teilweise lange Abwesenheit der auswärts arbeitenden Männer und Frauen. Man hatte auch weniger Zeit für das Kochen, und durch die erforderliche Mobilität veränderte sich das Kleidungsverhalten der Menschen. Dadurch sind neue Bedürfnisse entstanden nach Waren und Gütern des Alltags, die man möglichst direkt am Wohnort kaufen wollte. Das war die Grundlage für die nun neu entstandenen örtlichen Ladengeschäfte. Interessant ist, dass die beiden ältesten Läden in Nordheim jeweils von einem Schulmeistersohn gegründet wurden.

Das vermutlich älteste Geschäft ist der spätere Laden Kaufmann-Frank, auch Nowak, in der Hauptstraße 63. Eduard Auch, der 1823 geborene Sohn des Lehrers Christoph Ludwig Auch, betrieb hier ab etwa 1875 bis 1890 einen „Spezereien- und Ellenwarenhandel“, und er war zugleich „Agent und Liquerschenker“. Unter „Spezereien“ verstand man vor allem Gewürze und Kräuter aus aller Welt. Eine „Spezereihandlung“ war ein anderer Name für ein „Kolonialwarengeschäft“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ab 1891 übernahm Adam Frisch das Geschäft, er war zuvor Metzger und Wirt in Flein. Er warb mit „Spezereien jeder Art, Cigarren, Tabak, Porzellan- und Glaswaren, Lager in Strick- und Baumwolle, Halbflanellen, Druckkattun und Futterstoffe und Winterschuhe“. Die Frisch- Tochter Eugenie heiratete 1907 den Weingärtner Wilhelm Frank und übernahm mit ihrem Ehemann das Ladengeschäft. Geworben wurde für Kolonialwaren, Kurz- und Ellenwaren, Porzellan, Steingut und Hafengeschirr, Sämereien, Ölkuchen, Kupfervitriol und Rebschwefel. Anfang der 50er Jahre betrieb Kurt Ott in diesen Räumen seine Drogerie. Nachdem dieser das Nachbarhaus erworben hatte, führte Familie Witzak den Laden als Lebensmittel- und Haushaltwarengeschäft zunächst einige Jahre weiter. Von 1961 bis 1977 betrieb Familie Nowak diesen Kaufladen. Das Gebäude wurde im Rahmen der Ortssanierung Ende der 1970er Jahre abgebrochen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das zweitälteste Geschäft war der Laden auf der Südseite der Alten Kelter an der Hauptstraße westlich neben der Scheune des Anwesens Kühner. Ab etwa 1883 bis um 1891 betrieb Gustav Pfannenschmid, Sohn des Lehrers Carl Friedrich Pfannenschmid, in diesem Haus seinen Laden als „Spezereienhandlung“ einschließlich Kurz- und Ellenwaren, Cigarren und Tabak. 1881 übernahm Johanna Buchwald geb. Bechtold diesen Laden. Das Gebäude stammte aus der Familie ihres 1888 verstorbenen Ehemannes Christoph Buchwald. Dieser war zuvor Metzger und Wirt auf der Bahnhofswirtschaft. Danach übernahm die Tochter Bertha das Geschäft, ab ihrer Heirat mit Wilhelm Schiz firmierte der Laden unter dem Namen „Wilhelm Schiz, Kolonialwaren und Sämereien“. Der Begriff Kolonialwaren bezeichnete überseeische Erzeugnisse und Rohstoffe, insbesondere Zucker, Kaffee, Tabak, Reis, Kakao, Gewürze und Tee. Älteren Nordheimern ist der Laden noch bekannt als alter oder oberer Konsum. Der untere oder „neue“ Konsum entstand Anfang der 50er Jahre in der Bahnhofstraße 4.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ab der Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre entstanden in Nordheim erstaunlich viele weitere Ladengeschäfte. 1903 eröffnete z.B. Gottlob Böhler in der Talstraße eine Metzgerei mit angeschlossenem Kolonialwarenladen und im selben Jahr begann auch Hans Braun seine „Specereienhandlung“ in der Bahnhofstraße 6.  Noch in den 50er Jahren waren die Lebensmittelgeschäfte einfache Läden, in denen die Ware meist offen, d.h. nicht portioniert und nicht originalverpackt, verkauft wurde. Das bedeutete, dass der Zucker nach Gewicht aus dem Sack in Tüten abgewogen wurde, der Reis, die Erbsen oder Linsen ebenso aus dem Sack oder einer Schütte, Heringe wurden einzeln aus dem Fass abgezählt, Gurken einzeln aus dem Glas usw. Oft betrieben in diesen Familienbetrieben die Ehefrauen das kleine Ladengeschäft, während der Ehemann einer eigenen Arbeit nachging (z.B. Kiemle und Grimmeisen in der Bahnhofstraße, Müller in der Südstraße, Schwab in der Schwaigerner Straße).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der erste moderne Selbstbedienungsladen war der VIVO- Laden von Gertrud Sinn neben der „Krone“. Wollte man alle Nordheimer Läden bis in die 60er Jahre aufzählen (die allerdings nicht alle gleichzeitig bestanden), käme man auf eine stattliche Anzahl.

                                                                                                                                  Ulrich Berger

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