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Mitteilungsblatt Nordheim

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Geschichte des Monats November 2019

Erfasst von: Redaktion, DS | 07.11.2019 – 14.11.2019

Friedhof und Beerdigung früher und heute
Dass sich die Bestattungskultur und die Bestattungsformen stetig verändern, wird derzeit auf dem Nordheimer Friedhof sichtbar. Die Nachfrage nach Urnengräbern steigt, und auch die Nachfrage nach Baumbestattungen und nach Rasengräbern hat deutlich zugenommen. Daneben soll eine Bestattungsmöglichkeit geschaffen werden für Kinder die vor, während oder bald nach der Geburt verstorben sind. Und es musste eine Lösung gefunden werden für den künftigen Verbleib der Urnen aus den Urnenstelen, wenn die Ruhe- bzw. Nutzungszeit nach 20 Jahren endet. Aus diesen Gründen wurden dieses Jahr größere Baumaßnahmen auf unserem Friedhof durchgeführt. Der Aufwand und die Kosten dafür sind für die Gemeinde groß.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erheblich sind heute aber auch die Kosten und Umstände der Hinterbliebenen für eine angemessene Bestattung. Diese Vielfalt der Bestattungsformen gab es früher nicht, es gab aber auch keine Aussegnungshalle und keine Bestattungsunternehmen, die den Hinterbliebenen bei der Vielzahl der in kurzer Zeit zu treffenden Entscheidungen mit Rat und Tat hilfreich zur Seite standen. Erst seit 1956 gab es im Neuen Friedhof eine sogenannte „Leichenhalle“ (Aussegnungshalle) mit Sargkammern zur Lagerung des Sarges bis zur Durchführung der Beerdigungsfeier. Vorher mussten „…die Leichen bei engsten Wohnverhältnissen häufig trotz gesundheitlicher Nachteile in bewohnten Räumen aufgebahrt werden“ - so Bürgermeister Karl Wagner in einem Einladungsschreiben zur Feier der Inbetriebnahme des Friedhofs an der Heilbronner Straße am 1. Januar 1956. Zuvor war es über Jahrhunderte üblich, Verstorbene zu Hause einzusargen und aufgebahrt bis zur Beerdigung in Haus oder Wohnung zu belassen. Am Tag der Beerdigung wurde der Sarg entweder durch Sargträger oder mit einem Karren, später mit dem von Pferden gezogenen Leichenwagen, abgeholt und zum Friedhof an das ausgehobene Grab gebracht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Noch länger zurück gab es aber auch Zeiten, da war sogar ein Sarg nicht selbstverständlich, und es durfte bzw. konnte auch nicht jeder hier Verstorbene damit rechnen, dass er auf dem Friedhof ordentlich, d.h. „ehrlich“, „mit Christl. Kirchen-Ceremonien zur Erden bestattet“, „mit Christl. Ceremonien zu Grabe getragen“ beerdigt wurde. Wichtig war natürlich die „Rechtgläubigkeit“, gehörte man z.B. zur Pontificiæ religionis (Katholischen Religion) oder war man Calvinist, hatte man ein Problem. Im 17. Jahrhundert gab es dann nur einen Platz am Rande des Friedhofes oder in einer Ecke, und die Bestattung fand vor allem „ohne ceremonie“ (d.h. ohne Geläut, ohne Predigt, ohne Versammlung) statt:
25.11.1666 Anno 66 den 25. 9br. (= November) ist deß Schmids Hanß von Ohlhausen Catholische Magdt, Lorentz Pfawen tochter von Kirchhausen alhie begraben worden. Und weil sie unsern glauben nicht veracht, fleißig in die kirch gangen, Gottes wort angehört, ist ihr deßwegen ein besonder örtlen auff dem Kirchhoff eingegeben und weil man ohne das bettstund gehalten, ist ihr zugleich ein Zeichen zur begrabung gegeben worden. NB Catholisch.(Anm.: Man hat sie „ordentlich“ begraben, aber an einem besonderen Örtlein auf dem Friedhof)

 

17.06.1685 Den 17ten Junii Annô 85 ist der alte Hoffbawer namens Hanß Schäublen ein Calvinist gestorben, und ohne Ceremonie bey einer bettstundt begraben wordten, an einem eckh des kürchoffs.

 

Im 18. Jahrhundert wurden die Regeln etwas gelockert, es war kein besonderer Platz mehr vorgesehen, beerdigt wurde aber „ohne Ceremonien“:

 

09.07.1731 D. 9. Julii starb Catharina Kaißerin von Veiltingen, ohngefehr in dem 69igsten Jahr ihres Alters, noch ledigen Standes, und wurde den Tag darauff, weilen sie Pontificiæ Religionis war, ohne Ceremonien begraben.

 

15.05.1732 D. 15. Maii gab seinen Geist auff Hannß Jerg Kayser conversus pontificius und Rosenwirth allhier, und wurde den 16. darauff mit behörigen Ceremonien in die Erden eingesencket. Rosenwirt Jerg Kayser hatte Glück, weil er convertierte (d.h. zur Evangelischen Religion gewechselt hat), wurde er „mit Ceremonien in die Erde eingesencket“.

 

Schwierig wurde es für den hiesigen Pfarrer bei dem 1763 verstorbenen katholischen Maurergesellen, der am Pfarrhausbau gearbeitet hatte. Vorsichtshalber fragte Pfarrer Hiller beim Oberamt in Brackenheim an, wie er die Beerdigung machen soll. Er erhielt folgende Antwort:
Aus dero bey allhiesigem gemeinschaftl. Oberamt gemachte
Anfrage, wie es mit der Begräbniß des verstorbenen
catholischen Maurergesellen gehalten werden solle,
sehen wir uns genöthigt, der Cynosura Ecclesiastica
p.m.489 stricte nachzugehen, und solcher gestalten
den Hl. Pfarrer zu bitten, die Anstalten dahin
vorzusehen, daß der Defunctus (Anm.:Verstorbene)
1. ohne LeichPredigt
2. ohne Geläut, auch
3. ohne einigen Conduct (Versammlung?), aber
4. auf den Kirchhof zur Erden bestattet werden solle.
Unter göttl. Gnaden Erlassung haben Wir die Ehre mit
aller Achtung zu beharren
Euer Hochwohlehrwürden

 

Brackenheim, d.29. Maji 1763

 

Mit „Cynosura cclesiastica“ ist die Württembergische Ehe und Ehe-Gerichtsordnung gemeint, auf Seite 489 geht es um die Beerdigung von „wiedrigen Religionsverwandten“.

 

 

 

 

 

 

 

 

Der katholische Maurergeselle durfte also auf dem Friedhof beerdigt werden, aber ohne Glocken, Predigt und Versammlung. Übrigens ging es Angehörigen der Evangelischen Religion in katholischen Gebieten nicht viel besser! In schlimmen Zeiten fehlte es auch am Geld, dass man verstorbene Kinder würdig beerdigen konnte: Am 3. März 1694 starb ein 8jähriges Mädchen namens Eva „stirbt Hunger, und wird von seinem Vatter außgetragen und begraben“

 

 

 

 

 

 

In einem anderen Fall wird ein gebrauchtes, altes behrlen ausgegraben weil der Vater es nicht vermocht hat eines machen zu lassen (ein „behrlein“ ist eine Art Brett, eine „Bahre“ an Stelle eines Sarges):
02.03.1678 Den 2. Martii Anno 1678 ist von diser welt verschieden ein junges kindbetter kindlen Jacob Weckhlers des außgerißenen gesellen eheliches kind und seines weibs ist allt 14 tag. NB: Hat nicht vermocht disem kindt ein bährlen machen zu laßen und dahero ein altes behrlen so außgegraben wordten, darzu gebraucht wordten.

 

Wichtige Personen im Zusammenhang mit Tod, Beerdigung und Friedhof waren früher die Leichensägerin und der Totengräber. Aufgabe der Leichensägerin war, den Verwandten des Verstorbenen die Nachricht zu überbringen und den Beerdigungstermin bekanntzugeben. Außerdem gehörte ab 1811 auch das „Totenbesorgen“ dazu, gemeint ist das Einwickeln der Leiche und Hilfe beim Einsargen.
Der Totengräber begleitete die Leiche vom Aufbahren bis zum Grab. Als 1716 der neue Totengräber Michael Schmidt eingestellt wurde, hat man seine Pflichten sowie seine Bezahlung vom Gemeinderat in einer „Totengräberordnung“ mit 13 Punkten klar geregelt. Hier einige Beispiele:
1. „Hat solcher an Eydstatdt angelobet Wann Er etwa in der Verstorbenen Häußer Beruffen Würde nichts entwenden wolle.

3. Von Halb Verfaulten Särgen, Bein, Hirnschalen, Nägeln von denen Särgen, selber nichts nehmen, noch jemanden geben wolle, darmit Aberglauben und Zauberey zu treiben, sondern alles zusammen wieder in die Gräber hinein werfen.
4. Auch kein Bein in daß Bein Haußlin legen sondern Wieder begraben.
5. Die Gräber in Eechter tieffe, Und einen halben Schuh Weiter und Breiter machen, als die Särge sein und mit denen selben ordentlich umb gehen wolle…“
Als 1849 der Totengräber Conrad Kyriss nach neununddreißigjähriger Tätigkeit verstorben war, entwarf die Gemeinde auf Grund gemachter Erfahrungen eine neue Ordnung mit z.T. präziseren Angaben: „Ein Todtengräber hat:
1. den ihm anvertrauten Kirchhof so wie das Beinhaus, verschloßen zu halten u. den Gottesaker nur bei Tag und solchen Personen zu öffnen, von denen er versichert seyn kann, daß sie keinen Unfug treiben.
2. die ausgegrabenen Todtenbeine jedesmal zusammen zu lesen u. in die Gräber zu legen,
3. die Gräber 6 Schuh und bei Personen, die an einer anstekenden Krankheit gestorben
sind, 7 Schuh tief auszugraben. (1 Schuh = 28,65cm, 6 Schuh sind etwa 1,70m)

6. wenn er bei der Sarglegung eines Todten eine KörperVerlezung oder irgend etwas wahrnimmt, was bei ihm den Verdacht erregt, daß der Todte keines natürlichen Todtes gestorben seyn dürfte, schleunigst bei der Obrigkeit Anzeige zu machen, damit die Sache noch vor der Beerdigung untersucht werden kann.
7. wenn der todtengräber in einem frischen Grabe nach einer Beerdigung ein Getöse wahrnimmt, so hat er sogleich den Dekel des Sarges zu lüften, sodann aber schleunigst bei dem Geistlichen und bei der Obrigkeit Meldung davon zu machen“…
usw.

Zusätzlich zum Lohn, den der Totengräber für jedes Begräbnis bekam, durfte er den bei der Vergrößerung des Friedhofes 1847/48 neu umfriedeten Teil mit Futterkräutern bepflanzen. An allen Seiten der inneren Friedhofsmauer wuchsen zudem doppelte Reihen Weinreben, deren Ertrag der Totengräber ebenfalls erhielt. Bei der Gemeindevisitation von 1894 wurde dieser „landwirtschaftliche Betrieb“ kritisiert und empfohlen, dort künftig keine neuen Reben mehr zu pflanzen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heute können wir froh und dankbar sein über unseren gepflegten Friedhof, auf der jeder seinen Platz finden kann, egal welcher Nationalität oder Religion er angehört. Dazu kommen noch die vielen Möglichkeiten der Bestattungsart und die großzügig gestaltete Aussegnungshalle, in der die Angehörigen mit der Trauergemeinde bei der Trauerfeier würdevoll Abschied nehmen können.                                        Ulrich Berger

 

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