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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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Geschichte des Monats September

Erfasst von: Redaktion, WZ | 04.09.2019 – 30.09.2019

 

Historische Nordheimer Keltern und ihre Brunnen

 

Ein Großteil der Nordheimer Weinberge gehörte früher zu einem auswärtigen Hofgut oder Lehen, deshalb bestand für die Weingärtner der sogenannte Kelterzwang (Kelterbann), d.h., die Maische musste in einer bestimmten Kelter (Bannkelter) gepresst werden. Um dies kontrollieren zu können, errichtete jede Herrschaft ihre eigene Kelter. In dieser musste der Lehensinhaber seine Trauben keltern lassen. In Nordheim waren das die Württembergische (herzogliche) Kelter und die Hessische (worms’sche) Kelter. Von dem erzeugten Wein mussten die Lehensinhaber Abgaben entrichten, vor allem den Großen Weinzehnt. Zum Kelterrecht der Lehensträger gehörte aber auch, dass sie die Keltern unterhielten, die nötigen Gerätschaften zur Verfügung stellten und diese nach dem Herbst, wenn sie nicht mehr gebraucht wurden, aufbewahrten.

In der Regel war bei jeder Kelter auch ein Brunnen. Denn Wasser war sehr wichtig um die Holzgefäße, die das ganze Jahr über trocken standen und geschrumpft waren (Zuber, Butten, Fässer usw.) vor der Lese mit Wasser zu füllen (zu wässern), damit sie wieder dicht wurden. Auch zum sonstigen Keltergeschäft war Wasser unabdingbar.

Die herzoglich-württembergische Kelter (Herzogskelter)

Die Kelter ,,oben im Dorf“ (gemeint ist das heute noch erhaltene Keltergebäude in der Kelterstraße) mit zunächst drei und seit etwa 1600 vier Bäumen (Pressen) gehörte Württemberg, das sie auch im Bau unterhalten musste, wobei die Nordheimer zu Hand- und Fuhrfrondiensten verpflichtet waren. Württemberg war auch für das Eichgeschirr sowie für Butten und Zuber zuständig. Eine württembergische Kelter wurde schon um 1400 errichtet, nachdem Württemberg die Ortsherrschaft über Nordheim angetreten hatte. Der nächstgelegene Brunnen lag schräg gegenüber auf der anderen Seite der Kelterstraße (1b).

 

 

1a = Herzogskelter (Alte Kelter, 1562)

 

1b = Brunnen

 

2 = Neipperger Hofplatz

 

3 = Hessische Kelter

 

4 = Verwalterhaus (1718 erbaut)

 

5 = (altes) Rathaus (1593 erbaut)

 

6 = Pfarrhaus (1763 erbaut)

 

7 = Kirche (1701 nach Zerstörung 1693

      wieder aufgebaut, 1810 abgebrannt)

 

8 = Backhausplatz

 

9 =Lemlinskelter (alte hessische Kelter)

 

 

 

Die Alte Kelter in der Kelterstraße stammt aus der Zeit um 1562-1565. Als Bauzeit konnte anhand der im Sommer 2002 durchgeführten dendrochronologischen Untersuchung der Zeitraum zwischen 1562 und 1565 ermittelt werden. Die eichenen Bauhölzer wurden eindeutig im Winter 1561/62 gefällt und anschließend geflößt, wie zahlreiche dreieckige Löcher in den Balken belegen. Diese Löcher rühren vom Zusammenbinden der Holzstämme für den Transport her. Das Mauerwerk dieser Kelter ist sehr unterschiedlich (vor allem an der Südseite), deshalb ist nicht auszuschließen, dass bei ihrem Bau teilweise die Substanz eines Vorgängerobjektes mit verwendet wurde.

Die württembergische Kelter, die der Ortsbrand 1810 nicht erfasst hatte, war nach diesem Brand einige Jahre die einzige Kelter im Ort. Sie wurde 1832 vom Kameralamt Brackenheim samt den Kelterrechten und dem Inventar an die Gemeinde für den Preis von 800 Gulden verkauft.

1870 wurde sie folgendermaßen beschrieben: ,,Einstockig, 90‘ [Schuh] lang, 57‘ [Schuh] breit, in der oberen Gasse, mit 4 Bäumen und 2 Trotten [Keltern] bis unter das Walmdach von Stein“.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach der Abschaffung des Zehnten und anderer Abgaben ging die württembergische Kelter in den Besitz der Gemeinde über, die sich nun um die Organisation des ,,Herbst- und Keltergeschäfts“ kümmerte. Dazu wurde jedes Jahr neu ein Nordheimer dazu bestimmt, dieses ,,Geschäft“ zu übernehmen. Die Kelterbäume in dieser Kelter waren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in Betrieb. Die Baumpressen, auch „Torkel“ (lat.“torquere“ = drehen) genannt, verschwanden mit dem Aufkommen der leichter zu bedienenden und schneller arbeitenden hydraulischen Pressen. Bereits 1911/12 ist die Rede von einer gekauften Hydraulikpresse, und im Sommer 1919 wurde der letzte der vier hölzernen Kelterbäume verkauft. Die heutige „alte Kelter“ wurde bis zum großen Erweiterungsbau der Südstraßenkelter 1950/51 genutzt.

Für den Blumensommer 2003 wurde die Alte Kelter komplett saniert, eine Küche und Toiletten wurden eingebaut und ein Pflasterboden verlegt. Auf der Südseite des Gebäudes hat man einen historischen Musterweinberg und eine Terrasse angelegt. Derzeit wird die Alte Kelter für das Maibaumfest der Maibaumfreunde und während des Parkfestes vom Reiterverein genutzt. Beide Vereine haben sich auch bei der Renovierung stark engagiert.

Die Lemlinskelter (frühere wormsische Kelter)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Kirchstraße war bis 1810 überbaut.
Im Bildvordergrund stand die Lemlinskelter,
deren Brunnenschacht heute noch existiert.

 

 

 

Die Worms’sche oder auch Lemlinskelter mit nur einem Baum, gehörte dem Stift Worms. Im Steuer- und Vermögensbuch wird sie ,,Lämlenskelter“, genannt, die sich ,,oben im Dorf“ befand. Sie gehörte ursprünglich den von Lemlin, die den Weinzehnt im 15. Jahrhundert von Worms als Lehen verliehen bekommen hatten. Seit 1778 gehörte diese Kelter zum Anwesen des Schultheißen Jacob Friedrich Bender. Sie stand auf der heutigen Kirchstraße, etwa zwischen dem Friseursalon Kühner und dem neuen Wohnhaus der Familie Kurz. In der Brandkarte hat sie die Nummer 34. Die Kirchstraße existierte damals noch nicht. Beim Ortsbrand 1810 wurden zwei Keltern, die des Großherzogs von Hessen (Nr. 124) und die Lemlinskelter, die 1778 von Schultheiß Jacob Friedrich Bender von Worms ersteigert worden war, ein Opfer der Flammen. Alle in der Brandkarte von 1810 grau gefärbten Gebäude sind abgebrannt. Dieser Brand begann durch Brandstiftung am Anwesen von Schultheiß Philipp Jacob Bender, das an der Stelle des heutigen Anwesens der Familie Kurz lag.

 

 

 

Die (neue) Hessische Kelter

Vor unserem derzeitigen Rathaus, an der Stelle wo die Parkplätze sind, befand sich die (neue) Hessische Kelter (Brandkarte Nr. 124). Sie diente auch als „Fruchtkasten“ (Lager) für die Abgaben (Gefälle) aus Dürrenzimmern, Neipperg, Hausen und Nordhausen. Nordwestlich dieser Kelter stand vor dieser Zeit das zum Neipperger Hof gehörende Neipperger Hofhaus, das aber nach einer Quelle von 1718 schon damals nicht mehr existierte. Dort heißt es zum Neipperger Hof:…darauf hievor ein Haus und Scheuren gestanden damalen, nun aber ein Küchengarten darauf angelegt…

 

 

 

1 = Hessische Kelter (Nr. 124, abgebrannt))

 

2 = Verwalterhaus (Nr. 123, erbaut 1718)

 

3 = (altes) Rathaus (Nr. 122, erbaut 1593)

 

4 = Gottfried Seybold (Nr. 39, erbaut 1782)

 

5 = Kirche (1701 nach Zerstörung 1693

      wieder aufgebaut, 1810 abgebrannt)

 

6 = Lemlinskelter (Nr. 34, abgebrannt)

 

7 = Alte Kelter (Herzogskelter)

 

 

 

 

Viele Fragen warf und wirft noch ein Brunnen auf, der beim Ausheben der Baugrube 2018 für das neue Rathaus entdeckt wurde. Der aus Sandstein rund gemauerte, tiefe Brunnen lag vor der südöstlichen Gebäudeecke des abgerissenen Bauamtsgebäudes (früher Scheune) und  hatte einen Durchmesser von ca. einem Meter. Am Grund des Brunnens fand man sowohl einen völlig mit Wasser bedeckten, etwa 1,70 m langen Eichenbalken der deutliche Brandspuren aufwies, sowie einige Holz- und Dachziegelreste. Dieser Brunnen war bisher niemand bekannt und er war in keiner alten Karte und in keinem Lageplan eingezeichnet.

Bei einem verkohlten eichenen Balken an dieser Stelle denkt man natürlich an den Ortsbrand von 1810. Genau vor dem heutigen Rathaus, da wo heute Parkplätze sind, stand ursprünglich die Hessische Kelter, die zum Widdumgut gehörte. Diese Kelter ist 1810 abgebrannt, so wie viele Gebäude in unserer Ortsmitte. Gehörte dieser Brunnen zu der Hessischen Kelter? Oder war es der Hausbrunnen der Familie Seybold?

Aufschluss sollte eine dendrochronologische Untersuchung des Balkens bringen, denn mit der Jahrringmethode lässt sich in der Regel das Alter des Holzes bestimmen. Leider hat das in diesem Fall nicht funktioniert. Das Holz des verkohlten Balkens ist so gleichmäßig gewachsen, so dass keine typischen Jahresringe von besonders trockenen oder nassen Jahren vorhanden waren. Das Ergebnis des Labors erbrachte zwar 61 untersuchte Jahresringe, aber ohne nennenswerte typische Charakterisierung, was „auf einen feuchten bis nassen Standort hinweist. Sehr wahrscheinlich hatte der Baum Grundwasserkontakt“, so die Aussage des Labors.

 

 

 

 

Die Frage, weshalb ein angebrannter Balken samt Dachziegelresten auf dem Grund eines alten, tiefen Brunnens lag, kann leider nicht beantwortet werden. Es könnten die Reste eines zerstörten Brunnenhäuschen sein, Reste der Hessischen Kelter, oder…? Genau auf diesem Platz der abgebrannten Hessischen Kelter baute der Gerichtsschreiber Gottfried Seybold, Ur-Urgroßvater von Kurt von Marval, 1811 sein neues Wohnhaus auf, nachdem sein bisheriges Wohnhaus westlich der Kirche auf dem früheren Backhausplatz 1810 abgebrannt war. An dieser Stelle befinden sich heute die Parkplätze vor dem Rathaus.

 

Eine vierte Kelter

1818 wurde von der Gesellschaft Bube & Co., (Rosenwirt Bube, Heilbronn, Löwenwirt Merkle, Neckarsulm) welche die Zehntanteile des Großherzog von Hessen, dem Nachfolger des Hochstifts Worms, erworben hatten, eine Kelter mit zwei Bäumen, gemeinsam mit einer Zehntscheuer und einem Fruchtspeicher hinter dem Schafhaus erbaut (Anm.: mit „Schafhaus“ ist der spätere „Farrenstall“ gemeint).

In der südlichen Kellerwand dieses Anwesens befindet sich ein behauener Sandstein mit Löwenmotiv, ca. 22cm hoch und 17cm breit.

 

Dieser Löwe steht auf seinen Hinterbeinen und streckt die Zunge weit heraus und zeigt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

den hessischen Löwen. Das ist ein Beleg dafür, dass hier Steine der abgebrannten hessischen Kelter an anderem Ort wiederverwendet wurden. Der Brunnen zu diesem Anwesen befand sich an der südöstlichen Ecke des Gebäudes.

1835 wurde diese Kelter, nachdem sie drei Jahre vorher in den Besitz der Gemeinde übergegangen war, an den Schäfer Johannes Lell verkauft (ohne Kelterbäume und Einrichtung) und als Kelter aufgegeben. Aus diesem Gebäude wurde inzwischen das Anwesen Pflug (Buchwald) an der Großgartacher Straße 3.

                                                                                                                                     Ulrich Berger

 

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