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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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Geschichte des Monats August

Erfasst von: Redaktion, DS | 08.08.2019 – 31.08.2019

1649: Pfarrhaus hinter der Kirche eingestürzt – über 100 Jahre Wohnungsnot
für die Pfarrer in Nordheim
Bevor 1763 unser heutiges Pfarrhaus erbaut wurde, gab es auch schon ein Pfarrhaus, in dem der Ortsgeistliche wohnte. Den ältesten Hinweis auf dieses alte Pfarrhaus bei der Kirche findet man im Pfarrlagerbuch aus dem Jahr 1570. Dort heißt es unter der Überschrift „Der Pfarr aigne Güetter“:
Ain Behaußung sambt einer alten bawfälligen Scheuren, auch ganzer Hofraithin alles an: und bey einander an dem Kirchgraben, zwischen der Kirchen und dem Dorfgraben, auch Ciriacus Rüdingers Kern gelegen, stoßen vornen auff die Allmand, und Georg Haimbergers des Alte Scheuren, und hinden auff den Dorfsgraben.
Dieses ehemalige Pfarrhaus mit Scheune würde heute mitten auf der Kirchstraße stehen, etwa im Bereich der Gebäude Nr. 21, 23 auf der nördlichen und Nr. 16 auf der südlichen Straßenseite (etwa hinter der Scheune bzw. des Schlachthauses der Metzgerei Schoch).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges heißt es dann 1634, das alte Pfarrhaus sei äußerst ruinös, dass der Pfarrer Majer selbiges ohne Lebensgefahr nicht mehr bewohnen konnte, sondern in ein Privathaus ziehen musste. Er fand vorrübergehend Aufnahme im Hause des David Hesser. In einer Notiz in Talheimer Pfarrakten steht über das alte Nordheimer Pfarrhaus geschrieben:


1634 (2.juni) wurden Hans Balz, Zimmermann, und Georg Zimmermann Rentmeister, vom Vogt zu Brackenheim nach Nordheim erfordert, allda das Pfarrhaus zu besichtigen. Sie haben befunden, daß in demselben nimmer zu wohnen ist und auch nimmer auszuflicken, sondern muss von neuem daran gemacht werden lang auf die 40 Schuh und breit auf die 16 Schuh. Kosten 452fl 43x (Abbrechen mit Ziegel auf die Seite tragen, das Holz wegtragen, den Rom (Abraum) weg zu thun, das Getränke-Kellerlein größer zu machen 18fl). Dieses Pfarrhaus stammte noch aus der Zeit vor der Reformation und war ursprünglich mit einer Größe von etwa 11,5m auf 4,6m nicht für einen Pfarrer mit Familie gedacht, sondern für einen (katholischen) Pfarrer ohne Frau und Kind.
Pfarrer Majer floh im Dreißigjährigen Krieg 1635 wie viele andere Nordheimer nach Heilbronn, wo er am 26.9.1635 im Exilio starb. Das inzwischen von marodierenden Soldaten weiter gebrandschatzte und ruinierte Pfarrhaus war schließlich 1649 eingefallen. Die Scheune wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Hochstift Worms noch als Zehntscheune genutzt. Den Platz um diese Scheune nannte man Worms’schen Platz oder Fleckenplatz. 1755 wurde die Scheune an Privatpersonen verkauft und abgebrochen. In einem Vergleich zwischen dem Hochstift Worms und der Commune (Gemeinde Nordheim) wurde das Grundstück dem Gemeinen Flecken überlassen. Die Gemeinde hat es 1763 in zwei kleine Parzellen geteilt (136,5m² und 105m²) und diese verkauft. Auf dem größeren Teil wurde später ein kleines, einstöckiges Häuschen gebaut, auf dem kleineren Grundstück eine Scheune, von der heute noch Spuren in der Kirchstraße existieren (siehe Foto).

 

  

 

Nachfolger von Pfarrer Majer wurde 1635 der Diakon von Talheim, Andreas Rittberger. Er verließ Nordheim 1644, da keinerlei Einkommen mehr möglich war. Viele Nordheimer waren auf der Flucht oder lebten nicht mehr, die Felder waren verödet, es wurde nichts mehr geerntet und somit gab es auch keine Abgaben aus den Pfarrgütern für den Pfarrer, der Zehnte blieb aus. Bis 1649 wurde Nordheim als Filiale der Pfarrei Dürrenzimmern vom dortigen Pfarrer Johann Jakob Knauer versorgt. Nach dem Dreißigjährigen Krieg kam von 1649 bis 1668 Johannes Stephan als Pfarrer nach Nordheim. Da kein Pfarrhaus mehr vorhanden war, zog er in das Schulhaus ein (vermutlich das Mesnerhaus auf der Kirchenmauer) und die Gemeinde musste nach einer Bleibe für die Schulkinder sorgen. 1655 verlieh Worms den Zehnten und das Patronatsrecht an den württembergischen Kammerrat Johann Jakob Imlin in Frankfurt. Dieser versprach zunächst einen Pfarrhausneubau, stellte dann aber Pfarrer Stephan nur das alte Kaplaneihaus beim Rathaus zur Verfügung, das der Pfarrer als alt bawfellig wurmstichig wesen bezeichneteund in das er auf Martini 1658 einziehen musste. 1669 wähnte sich Pfarrer Stephan in Lebensgefahr, da in diesem Haus etlich hangende wändt gar eingefallen.

1674 ließ die Witwe des verstorbenen Patronatinhabers Imlin das Haus wenigstens um etwas reparieren. Hoffnung auf den Bau eines neuen Pfarrhauses schöpfte man 1680, als der Mainzer Erzbischof Anshelm Franz für kurze Zeit zugleich Bischof von Worms war. Mainz verfügte gegenüber Worms über größere finanzielle Mittel, doch auch diese Hoffnung war vergeblich.

Nordheim sowie die anderen Gemeinden des Amtes Brackenheim hatten noch längst nicht die Folgen des Dreißigjährigen Krieges überwunden, als es 1688 zum Einfall französischer Truppen in Württemberg kam, ausgelöst durch Erbansprüche Ludwigs XIV. von Frankreich auf die Pfalz (Pfälzer Erbfolgekrieg). Um 1690 betrug die Einwohnerzahl lediglich ca. 400 gegenüber ca. 680 vor den Ereignissen des Jahres 1634, und 1688 gab es in Nordheim noch 14 vom Dreißigjährigen Krieg herrührende leere Häuser und Hofstätten, dazu noch öde Äcker und Weinberge. Zum Schicksalsjahr für Nordheim wurde dann das Jahr 1693, in dem unser Dorf im Juni elendt und erbärmblich mit Brandt überzogen und ausgeplündert wurde. Die Kirche mit zwei Glocken, das Pfarrhaus und das Rathaus sowie weitere 30 Häuser und Gebäude lagen jämerlich in der Aschen. Die Winterfrüchte waren auf der gesamten Markung geplündert und zerstört, ebenso die Besoldungsfrüchte von Pfarrer und Schulmeister. Am 18. Juni 1694 wird berichtet, dass der Ort noch bey 24 Bürger

(= Haushaltungsvorstände) zähle, während es vor 1688 in die 80 gewesen seien. Die Einwohnerzahl war 1693/94 angesichts der Kriegsereignisse um über die Hälfte zurückgegangen. Im Oktober 1697 werden 34 leere Hofstätten genannt, 890 Morgen öd- und wüstliegende Äcker sowie 458 Morgen öde Weinberge. Wie schrecklich diese Zeit war zeigt auch die Tatsache, dass 1694 und 1695 insgesamt 11 Kinder und Erwachsene an Hunger gestorben sind.

 

Die Bevölkerung nahm um 1700 rasch wieder zu, doch an ein neues Pfarrhaus war nicht zu denken. Der Gottesdienst fand nach 1693 im nicht zerstörten Schulhaus (Mesnerhaus) statt, in das auch der Pfarrer eingezogen war. Der Unterricht für die Schulkinder fand in der Wohnung des Schulmeisters statt. Vorrang hatte der Wiederaufbau der 1693 abgebrannten Kirche unter dem damaligen Pfarrer Hieronymus Hengstlin (1690 – 1704). Eingeweiht wurde die neue Kirche am 30. Oktober 1701. Dieses Datum war dann über lange Zeit der Termin des Nordheimer Kirchweihfestes (Kerwe).

Von Pfarrer David Schabhard(1705 – 1729), dem Nachfolger von Hengstlin, erfahren wir, dass das zerstörte „Ersatzpfarrhaus“ neben dem Rathaus als kleines Häuschen wieder aufgebaut wurde. Erst im Jahr 1755 genehmigte Worms dem Nachfolger von Schabhard, Pfarrer Leonhard Hiller (1729 – 1766), den Erwerb zweier kleiner Häuschen, die neben dem kleinen und wenig repräsentativen Pfarrhaus lagen. Diese wurden schließlich abgerissen um Platz für ein stattliches neues Pfarrhaus mit Nebengebäuden zu schaffen. Eine im Kellerabgang des jetzigen Pfarrhauses eingemeißelte Jahreszahl „ANNO 1706“ ist irreführend, dieser Stein stammt vermutlich von einem dieser insgesamt drei kleinen Häuschen, die zuvor auf diesem Platz standen.

 

 

Auskunft über die tatsächliche Bauzeit gibt eine Bemerkung im Totenbuch über einen am 28. Mai 1763 an Auszehrung verstorbenen Bauarbeiter mit Namen Caspar Neuner, der am Pfarrhausneubau beschäftigt war.

 

Dieses neue, im Rokokostil erbaute Pfarrhaus diente nicht nur als Pfarrerwohnung, sondern sollte auch ein „Absteigequartier“ für die wormsischen Beamten sein, wenn sie wegen der Verwaltung ihrer Gefälle nach Nordheim kommen mussten und hier natürlich ihrem Stande entsprechend untergebracht werden sollten. Dem Pfarrer und seiner Familie wurden die unteren Geschosse angewiesen, die übrigen Räume im Obergeschoß, dem piano nobile, waren für die Beamten aus Worms bestimmt.

 

Seit dem Einsturz des alten Pfarrhauses hinter der Kirche im Jahr 1649 bis zu diesem fast schlossartigen neuen Pfarrhaus von 1763 waren über 100 Jahre vergangen, in denen der jeweilige Pfarrer manches Übel in maroden Häusern oder in Ausweichquartieren erdulden musste, bei denen oft auch die entsprechenden Nebengebäude fehlten. Denn nach wie vor mussten die Ortsgeistlichen ihren Lohn aus den Pfarrgütern erwirtschaften, und dafür benötigten sie auch die notwendigen Gebäude und Lagerflächen. Entweder bearbeitete der Pfarrer seine Felder selbst oder er verpachtete sie, wie es im 19. Jahrhundert dann üblich wurde.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ulrich Berger

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