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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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„Geschichte“ des Monats Juli 2018:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 05.07.2018 – 19.07.2018

Lebenssituation in Nordheim um 1765

Einen Einblick in das Leben der Nordheimer Bevölkerung um das Jahr 1765 bietet ein Steuer- Revisionsbuch von 1764/65 im Gemeindearchiv. Darin sind viele Fakten von über 200 Bürgerinnen und Bürger von Nordheim aufgelistet, die Einblicke in die Lebenssituation dieser Menschen vor über 250 Jahren bieten. Für jeden Bürger wurde ein zweiseitiges, vorgedrucktes Formular ausgefüllt mit Angaben über Gebäude und Güter, Gewerbe, Bargeld, Schmuck, Weinvorrat, Früchte, Viehbestand und Besoldung (z.B. als Nachtwächter). Außerdem erhält man Auskunft über die Zahl der Familienmitglieder und über andere im Haushalt lebende Personen wie Knechte und Mägde. Der Vordruck stammt aus der Zeit von Herzog Karl Eugen (1728 - 1793), der wegen hoher Kosten für Kriege und Prachtbauten nach Wegen suchte, sich Geld zu beschaffen.

Ergänzt wird dieses Zeitbild durch den Band „Gerichtsprotokolle 1757-1767“, Vorläufer der Gemeinderatsprotokolle. Darin geht es vor allem um Händel und Streitigkeiten aller Art. Um das zu verstehen, muss man bedenken, dass die Dorfbewohner von morgens bis abends in vielen Bereichen miteinander zu tun hatten. Das Zusammenleben in der Enge des Dorfes, zum Teil mit gemeinsamem Bewohnen eines kleinen Häuschens oder gemeinsamer Hofnutzung, ergab viele Reibungspunkte.

 

 

 

Hinzu kamen große soziale Unterschiede zwischen den Vermögenden und den z.T. völlig Vermögenslosen. Manche waren bettelarm, wenig gebildet, nicht alle konnten lesen und schreiben. Umgangsformen, Höflichkeit, Respekt - das waren Fremdwörter für viele Menschen dieser Zeit. So ging es oft um Diebstahl von Wein (manche hatten keinen oder nur einen kleinen Keller, so dass sie den Wein in fremden Kellern lagern mussten), oder Diebstahl von Frucht, Garben oder Pfählen. Dann wurde „unerlaubtes Grasen“ (Futter holen) bestraft, Trauben abreißen oder Fluchen, Beleidigungen, Schimpfwörter. Alles wurde auf dem Rathaus verhandelt und geahndet. Als Strafe gab es u.a. den „kleinen Frevel“ (3 Gulden), die „Fleckenstrafe“ (1 Gulden), den „Weiberfrevel“ (1Gulden 30 Kreuzer) oder gar das „Zuchthäuschen“ (letzteres auch in den Fällen, wo kein Geld zu holen war!).                        Abschrift:…das Eheweib

                                                                            als Mitschuldnerin

                                                                           kann nicht schreiben

                                                                          +      +      +

Die schichtspezifischen Strukturen waren fest verankert, sie wurden über Generationen vertieft und verfestigt. Reich heiratete reich, wer arm war, blieb arm. Die in unserer Gegend übliche Realteilung trug mit dazu bei, dass im 18. und 19. Jahrhundert die Güterzersplitterung so zunahm, dass sich Klein- und Kleinstbauern nicht mehr von ihren eigenen Gütern ernähren konnten und auf zusätzliche Einnahmequellen wie Taglohnarbeiten oder niedere Gemeindeämter (z.B. Nachtwächter, Totengräber, Maulwurffänger usw.) angewiesen waren. Das Steuer-Revisionsbuch von 1764/65 gibt einen guten Einblick in die Ungleichheit der Vermögensverhältnisse in dieser Zeit. Insgesamt hatte Nordheim damals knapp 700 Einwohner. Schultheiß war Rosenwirt Christoph Kaiser, Bürgermeister war Johannes Schaber. Der Titel „Bürgermeister“ entspricht dem heutigen Gemeindepfleger, der „Schultheiß“ entspricht dem heutigen Bürgermeister.

 

Die wohlhabendsten 6 Bürger versteuern ein Vermögen von zusammen etwa 46 000 Gulden, der Rest der steuerbaren Bürger kommt auf ein Gesamtvermögen von zusammen etwa. 45 000 Gulden. Zwölf Personen hatten keinerlei Vermögen, bei 62 Personen lag das Vermögen unter 100 Gulden und bei 43 lag es zwischen 100 und 200 Gulden. Immerhin 70 Personen besaßen ein Vermögen zwischen 200 und 500 Gulden. Zum Vergleich: Ein Rind hatte je nach Alter und Qualität einen Wert von etwa 20 Gulden; ein Eimer Wein (ca. 300 Liter) je nach Qualität zwischen 9 und 25 Gulden. Der Wert der Gebäude und Güter (Äcker, Weinberge etc.) war damals oft deutlich geringer wie das Barvermögen oder der Wert des eingelagerten Weines, den allerdings nur wohlhabende Bürger besaßen.

                                                                    Die „Alte Rose“ von Schultheiß Christoph Kayser in  der Hauptstraße

 

Wer waren nun diese reichen Bürger und wie setzte sich deren Vermögen zusammen? Die wohlhabendste Familie in Nordheim Mitte des 18. Jahrhunderts war die Schultheißen- und Sonnenwirtsfamilie Bender. Diese Familie ist seit dem 16. Jahrhundert in Nordheim nachgewiesen und stellte von 1632 bis 1761 fünf Schultheißen. Eine zentrale Figur stellt Johann Baltas Bender (1672 - 1747) dar. Er war Sonnenwirt und übte von 1727-1747 das Amt des Schultheißen aus. 1723 erbaute er - vermutlich als Alterssitz - die „Silla Hopp“, das gegenüber der Alten Kelter stehende Gebäude Kelterstraße 23, das zu dieser Zeit das höchstgelegene Haus in Nordheim war. Der obere Bereich des heutigen Gebäudes wurde 1929 nach einem Brand wieder neu aufgebaut. Bender gehörte auch das sogen.

Links oben die sogenannte „Silla Hopp“, davor das „Hohe Haus“ mit Fachwerk, daneben das Gebäude „Davidsbeck“. Diese Häuser und noch einige mehr gehörten alle zum Besitz von Schultheiß und Sonnenwirt Johann Baltas Bender (1672 – 1774).

 

„Hohe Haus“ und viele weitere Gebäude in der Stichstraße der Kelterstraße, die früher „Boxrain“ genannt wurde.

Sein großes Vermögen und sein Einfluss auf das Dorfgeschehen dürfte wohl auch in Zusammenhang stehen mit dem Spruch über der Türe des „Hohen Hauses“. Dem Sinn nach geht es um Hass und Neid, um Leihen und Borgen und um das Zusammenleben insgesamt. Vielleicht gab es Spannungen zwischen dem reichen Besitzer und seinen Nachbarn oder anderen Dorfbewohnern?

 

ACH GOT WIE GET DAS ZU

DAS DIE MICH HASEN DEN ICH

GUT DUH UND MIR VERGINGEN UN

SOH NIX GEBE MISEN DAN NO

SEHEN DAS ICH LEB DOR ZU MIR

WEDER LEIHEN NOCH BORGEN

[SOLT EINER FIR IN SELBER SORGEN]

Inschrift (Neidspruch) über der Türe                               (letzte Zeile nicht mehr sichtbar)
zum „Hohen Haus“ in der Kelterstraße

 

Zum Bender’schen Besitz gehörte auch das Gasthaus „Zur Sonne“, das an einen der Söhne vererbt wurde. Im Amt des Dorfschultheißen folgten ihm von 1781-1792 sein Schwiegersohn Wilhelm Friedrich Kachel und von 1793 -1812 sein Enkel Jacob Friedrich Bender, der Sohn von Philipp Jacob Bender. Dessen stattliches Anwesen befand sich gegenüber dem Alten Rathaus. Der Letztgenannte erscheint im Steuerbuch von 1765 als der wohlhabendste Bürger von Nordheim, gefolgt von seiner Mutter, die Witwe war. Er versteuerte ein Vermögen von 12 220 Gulden, seine Mutter 11 134Gulden. Seine Gebäude und Güter wurden dabei mit 1264 Gulden veranschlagt, Geldvermögen 6400 Gulden, 140 Eimer Wein (das sind 41 160 Liter) zu insgesamt 3640 Gulden, Wert des Viehs (3 Pferde, 9 Rinder, 1 Schaf, 3 Schweine) 420 Gulden u.v.m.

 

Über ein größeres Geldvermögen verfügten nur fünf der wohlhabendsten Bürger. Vorhandene Weinbestände zeigten lediglich 13 Bürger an, 6 davon aber sehr große Mengen, die als Handelsgut nach auswärts bereitstanden. Der Pferdebestand von 20 Tieren verteilte sich auf 9 Besitzer, wobei Schultheiß Kaiser mit 4 Pferden die meisten Rösser besaß. Der Rinderbestand war mit insgesamt 276 Tieren beträchtlich. Allerdings wird bei den Angaben nicht unterschieden zwischen Ochse, Kuh oder Kalb. Diese Tierart war für die Kleinbauern existenziell wichtig, da das Rind vor allem auch als Arbeitstier („Schaffkuh“) eingesetzt wurde. 28 Bauern besaßen nur ein einziges Rind, 36 besaßen zwei Rinder, 19 hatten drei und der Rest besaß bis zu maximal sieben Rinder (Philipp Jacob Bender). Pfarrer Haab aus Schwaigern schreibt in einem von ihm verfassten Schulbuch 1823 über die Vorteile des Rindes: „Das Rindvieh gehört zu den nützlichsten Hausthieren….Es ist das unentbehrlichste Thier zum Betrieb des Ackerbaues, und wird von Vielen für vortheilhafter gehalten, als wenn man sich der Pferde dazu bediente, weil es wohlfeiler zu unterhalten ist, und nachher noch gemästet und geschlachtet werden kann. Sonst gewärt diese Thier-Gattung dem Menschen noch einen vielseitigen Nutzen durch sein Fleisch, seinen Talg, Horn, durch seine Milch, Haut, Butter, Käse, endlich vorzüglich auch durch den dem Ackerbau so unentbehrlichen Dünger.“

Der Schweinebestand war mit 55 Tieren relativ gering und verteilte sich auf 33 Tierhalter, was vermutlich mit dem fehlenden Mastfutter zusammenhing. Am meisten Schweine hielt der Untermüller Rappold (4) und der Sonnenwirt Eberbach mit ebenfalls 4 Tieren. Die Kartoffel hat vermutlich damals in Nordheim noch kaum eine Rolle gespielt. Bis 1771 diente die Kartoffel in Württemberg fast nur zur Viehmast. In Heilbronn wurde sie 1741 erstmals angebaut, doch veranlassten Misswuchs und Teuerung erst 1770 den stärkeren Anbau und damit auch die Verwendung als Nahrungsmittel. Schafe wurden insgesamt 164 Stück angegeben, sie wurden aber nur vereinzelt gehalten. Der Bestandschäfer Ihle besaß allein 100 Tiere, dadurch kommt der relativ hohe Tierbestand zustande.

Bei der Betrachtung der Gesamtsituation lässt sich feststellen: Die Kluft zwischen armen und reichen Bürgern war sehr groß. Spannungen konnten nicht ausbleiben, und vielleicht liegt darin auch eine der Ursachen dafür, dass sich der Separatismus gerade in Nordheim am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts so stark entwickelte und bis hin zum Ortsbrand von 1810 führte.

                                                                                                                                              Ulrich Berger

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