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Mitteilungsblatt Nordheim

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Geschichte des Monats Mai

Erfasst von: Redaktion, DS | 06.05.2021 – 13.05.2021

Streuobstwiesen – ein Erbe aus der Vergangenheit

Streuobstwiesen gehören heute noch immer zum vertrauten Landschaftsbild auf unserer Markung und in unserer Gegend. Wie lange noch, das wird sich zeigen, denn der Aufwand bei Pflege und Ernte der oft alten und großen Bäume ist erheblich, der wirtschaftliche Ertrag dagegen ist eher gering. Um heute Obstbau wirtschaftlich betreiben zu können benötigt man andere Kulturformen wie z.B. Niederstamm-Intensivobstanlagen. Diese haben aber eine andere Wirkung auf das Landschaftsbild und auf den Lebensraum für Pflanzen und Tiere im Vergleich zu den großflächigen Obstbaumwiesen. Ihren Höhepunkt erlebten die Streuobstwiesen ab dem 19. Jahrhundert bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts.

 

Geschichte des Monats, Kuh und Leiterwagen

Streuobstwiesen 1942 (Aufnahme: Kurt von Marval).

 

Mit wachsendem Wohlstand in den „Wirtschaftswunderjahren“ (50er bis Mitte 60er Jahre) ging das Interesse am Selbstversorger-Obstbau zurück. Die noch vorhandenen Bestände sind häufig veraltet und oft in einem schlechten Pflegezustand. Manche Besitzer sind inzwischen alt und können die körperlich anstrengende Arbeit nicht mehr leisten. Die Nachkommen der früheren Besitzer wohnen oft weit weg, haben wenig Zeit oder einfach kein Interesse an der Streuobstwiese. Denn das Gras der Wiese muss gemäht werden, die Bäume müssen geschnitten und der Baumschnitt entsorgt werden. Zudem darf das Grundstück nicht ohne weiteres als klassisches Freizeitgrundstück mit Schaukel und Pool genutzt oder eingezäunt werden. Dass die Streuobstwiesen aus ökologischer und landschaftspflegerischer Sicht große Bedeutung haben und erhalten werden sollten rückt heute immer mehr in das Bewusstsein der Bevölkerung. Deshalb werden seit Jahren verschiedene Fördermaßnahmen von Verbänden, Kreisen, Gemeinden usw. in die Wege geleitet um das Interesse an der Bewirtschaftung von Obstbaumwiesen zu erhalten oder wieder neu zu wecken. Diese Maßnahmen sind vielfältiger Art, es gibt Baumpflanzaktionen, finanzielle Zuschüsse für den Baumschnitt oder für die Neuanpflanzung von Hochstammbäumen, sowie Obstbörsen oder einfallsreiche Werbung für den Konsum von Produkten aus dem Streuobstbau. So wurde der Werbespruch „Mosttrinker sind Naturschützer“ kreiert, wobei unter Most nicht nur der vergorene, alkoholhaltige Most, sondern auch der süße Apfelsaft zu verstehen ist. In einigen Gemeinden gibt es inzwischen auch eine farbige Markierung an Bäumen (z.B. gelbes Band) die anzeigt, dass dieser Baum freigegeben ist und gratis und ohne Rücksprache abgeerntet werden darf. Im März 2021 ist der Streuobstanbau in Deutschland als Immaterielles Kulturerbe in das bundesweite Verzeichnis aufgenommen worden.

 

Geschichte des Monats, Apfelbaum

Die Obsternte hängt von vielen verschiedenen

Faktoren ab und kann sehr unterschiedlich ausfallen.

 

Geschichte des Monates, Apfelkorb

 

Zur Geschichte des Obstbaus in Nordheim:

Die Anpflanzung von Obstbäumen wurde schon vor Jahrhunderten von der Obrigkeit gefordert und gefördert. Der Obstanbau diente sowohl der Behebung des Nahrungsmangels als auch zur Verbesserung der früher oft sehr einseitigen Ernährung, außerdem konnte durch den Verkauf von Obst ein Zusatzeinkommen erzielt werden. Bereits nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde durch landesfürstliche Verordnungen veranlasst, entlang von Wegen und Straßen und auf Allmendflächen (Gemeindeflächen) Bäume zu pflanzen. So war ab 1728 jeder neue Bürger in Nordheim zur Pflanzung von zwei Obstbäumen auf der Allmende verpflichtet. Wegen der zunehmenden Zahl an Obstbäumen und der wirtschaftlichen Bedeutung des Obstes wurde schon früh ein „Obsthüter“ von der Gemeinde angestellt und bezahlt, der vor allem in der Reifezeit des Obstes Tag und Nacht „auf der Hut“ sein musste. Der damals 61jährige Weingärtner Johann Georg Fißler erhielt 1816 dafür 18 Kreuzer pro Tag und Nacht.

 

Geschichte des Monats, Vergütung für Obsthüter

Der Obsthüter erhält 18x pro Tag und Nacht (1816).

 

Der Nordheimer Pfarrer Eduard Fleischmann unterhielt 1842 eine private Baumschule, die er „mit viel Liebe und Sorgfalt“ pflegte. Vielerorts fehlten in dieser Zeit qualifizierte Fachleute für den Obstbau. 1842/43 wurde deshalb in Hohenheim unter Eduard Lucas eine 3-jährige Ausbildung für Obstfachleute eingerichtet. Über den Obstbau und das fehlende Fachpersonal ist um 1850 zu lesen: …es wäre zu wünschen, daß, wie in jedem Ort ein Schmied, so auch in jedem Ort des Landes, der Obstbau betreibt, ein Baumwärter ansässig sei, der sowohl die richtigen Arbeiten wie das Baumsetzen, Umpfropfen usw. vornehmen als auch die Ortsbürger beraten und unterstützen könnte. 

 

In Weinsberg genehmigte König Karl am 28. Dezember 1867 die Errichtung einer Weinbauschule. Diese von Immanuel Dornfeld initiierte Anstalt gilt als älteste deutsche Wein- und Obstbauschule, und sie wurde als Weinbauschule weit über Weinsberg hinaus bekannt. In dieser Zeit gab es sogar „Wanderlehrer für Obstbau“, die mit Vorträgen und Versammlungen in den Dörfern versuchten, mehr Fachwissen über den Obstbau zu verbreiten. Dabei ging es um Baumschnitt und Baumpflege, Umpropfen, Sortenkunde, Pflanzanleitung usw. Denn in vielen Orten fehlte es an pomologisch geschulten Leuten für die steigende Zahl von Obstbäumen. Der Anbau von Obst wurde inzwischen immer mehr zu einem Wirtschaftsfaktor, was allein schon die Anzahl von knapp 8 Millionen Bäumen in Württemberg im Jahr 1879 anzeigt.

Die hauptsächliche Verwendung des Wirtschaftsobstes war die Mostbereitung. Außerdem wurden größere Mengen von Äpfeln, Birnen, Zwetschgen und Kirschen auch gedörrt. Das Tafelobst wurde eingelagert und während des Winters bis ins Frühjahr auf den Markt gebracht und bis nach Bayern, Norddeutschland und sogar nach Russland verkauft.

Obstmost war früher das Hauptgetränk der arbeitenden Bevölkerung. Schon in kleinen Haushalten wurden durchaus 1000 Liter Most als Jahresbedarf in Holzfässern im Keller eingelagert. Mancherorts war im Sommer das Trinkwasser der Brunnen ungenießbar, der Most dagegen weitgehend keimfrei. So trank die ganze Familie jeden Tag Most, auch die Kinder. Natürlich führte das auch zu Alkoholproblemen und Abhängigkeit, und ein rechter Mostrausch ist wegen der Fuselstoffe unberechenbar und ein Problem für Herz und Kreislauf. In obstarmen Jahren setzte man dem Most mehr Wasser zu, was wegen der Minderung des Alkoholgehaltes der Haltbarkeit schadete. Ein guter Most konnte sich bei kühler Lagerung aber durchaus einige Jahre frisch und gut erhalten. Der übriggeblieben Most wurde vor allem ab der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu Branntwein bzw. Obstschnaps gebrannt. Das Dörren des Obstes erfolgte entweder langsam an der Luft, in beheizten Dörranlagen oder im Gemeindebackhaus. Da das Obst 70% bis 75% Wasser enthält, bekommt man aus 100 kg Äpfel oder Birnen etwa 25-30 kg gedörrtes Obst. Das gedörrte Obst diente dem Selbstverbrauch oder kam zum Verkauf.

 

Geschichte des Monats, Dörrapparat

 

Recht aufschlussreich ist der Bericht von Oberamtsbaumwart Steinle aus dem Jahr 1920 über die Besichtigung der Obstanlagen der Gemeindemarkung Nordheim. Begleitet wurde er von Gemeindepfleger Schiz, Handelsgärtner und Baumwart Klotz und einigen jungen, interessierten Gemeindebürgern. Der Bericht ist umfangreich und kann nur in Teilen wiedergegeben werden: Im Besitz der Gemeinde befinden sich gegen 3000 Obstbäume, welche in der Hauptsache im besten ertragsfähigen Alter sind. Dieselben stehen teils an den Straßen, Wegen, teils auf von der Gemeinde an deren Bürger verpachteten Grundstücken, zum größeren Teil aber in geschlossenen Anlagen.

Die Pflege dieser Bäume liegt zunächst in Händen des Handelsgärtners und Baumwarts Klotz. Derselbe ist nach seinen Aussagen noch nicht eigentlicher Gemeindebaumwart und bezieht daher auch kein Wartgeld. Er besorgt seine Arbeiten jeweils auf Anweisung des Ortsvorstehers...

Oberamtsbaumwart Steinle empfahl der Gemeinde, Klotz als Gemeindebaumwart anzustellen und ihm noch einen fähigen Helfer an die Seite zu stellen. Steinle erteilte viele praktische Ratschläge, die im Folgejahr beim nächsten Beratungsbesuch kontrolliert und besprochen wurden.

Über die Anzahl der Bäume und deren Ertrag sind im Gemeindearchiv Statistiken von 1915 bis 1965 vorhanden. In den ersten Jahren wurden nur vier Obstgattungen erfasst: Äpfel, Birnen, Pflaumen/Zwetschgen und Kirschen. 1915 erbrachte die Zählung der ertragsfähigen Bäume folgendes Ergebnis: 2750 Apfelbäume, 2420 Birnenbäume, 300 Zwetschgen- und 120 Kirschenbäume. Ab Ende der 20er Jahre wurde unterschieden nach Tafel- und Mostobst. Ab 1933 wurde es kompliziert. Bei den vier bisher gezählten Sorten musste bei Hoch- und Halbhochstämmen der Standort angegeben werden (Obstgarten, Straße, Kleingarten), Spalierobst wurde separat erfasst und es kamen noch die Obstarten Mirabelle/Reineclauden, Aprikosen, Pfirsiche und Walnüsse zu der Obstbaumzählung hinzu. (Anmerkung: Die Folgen dieser exakten Baumerfassung spürte man in den Kriegsjahren, als jeder Obsterzeuger eine vorgeschriebene Mindestablieferungsmenge an Obst an festgelegten Sammelstellen abliefern musste).

 

Geschichte des Monats, Frauen bei der Kirschernte

Frauen bei der Kirschenernte.

 

Das Ergebnis der Zählung von 1933 ist erstaunlich:

  • Tafeläpfel: 4899
  • Mostäpfel: 2630
  • Tafelbirnen: 904
  • Mostbirnen: 3481
  • Zwetschgen: 2707
  • Kirschen: 387
  • Mirabellen: 159
  • Aprikosen: 23
  • Pfirsiche: 159
  • Walnüsse: 99

gesamt: 15448 Obstbäume

 

Diese Zahlen verdeutlichen, welche Bedeutung der Obstbau inzwischen erlangt hatte. Herausragend ist dabei auch der große Anteil der Mostobstbäume (6111, davon 3481 Mostbirnenbäume). Leider ist der Ertrag nicht angegeben, sonst hätte man die Hektolitermenge an Most für das Jahr 1933 errechnen können! Bei der letzten vorliegenden Zählung aus dem Jahr 1965 fallen die Zahlen nochmals höher aus, damals wurden insgesamt 19898 Obstbäume auf der Nordheimer Markung gezählt.

 

Der Obstbau wurde im 20. Jahrhundert in Nordheim von der Gemeinde gut unterstützt. Interessierte Männer wurden auf Obstbaulehrgänge geschickt, es entstanden Gemeinschaftsanlagen im „Koppen“ (1930, sie galt als mustergültig) und im Gewann „Landturm“, im „Entenpfuhl“, im „Schelmental“ (dort z.B. Kirschen-Gemeinschaftspflanzung 1952/53) usw. Außerdem wurden bei der Kreisobstberatungsstelle Umpfropfhilfen und entsprechende Reiser beantragt um die Obstqualität zu steigern. Auch der 1938 gegründete „Siedler- und Kleingartenverein Nordheim“, ab 1970 umbenannt in „Garten- und Obstfreunde e.V. Nordheim“, unterstützte auf vielfältige Weise den örtlichen Obstanbau.

Um unser gewohntes Landschaftsbildes mit den Streuobstwiesen erhalten zu können, ist viel Engagement erforderlich. Es muss sich wieder lohnen, Äpfel zu ernten oder aufzusammeln. Das geht nicht ohne finanzielle Unterstützung, ähnlich wie bei Steillagen-Weinbergen. Ansonsten bleibt immer mehr Obst auf den Bäumen hängen oder es vergammelt auf dem Boden. Aktionen von Schulklassen, Vereinen oder Verbänden zur Obstverwertung sind wichtig und müssen gefördert werden. Da in den meisten Dörfern die alten Mostereien ausgestorben sind ist eine neue Idee geboren: die mobile Mosterei. Auch in Nordheim betreibt Marc Walcher eine solche Mosterei sowie eine Ölmühle zum Pressen von Nüssen. Abgefüllt wird der Saft aus dem angelieferten Obst in 3 Liter, 5 Liter oder 10 Liter "Bag in Box" Verpackungen. So kann das eigene Obst am Ort zu gesundem, natürlichen Direktsaft verarbeitet werden. Wer eine Obstwiese bewirtschaftet, trägt damit aktiv zum Natur- und Landschaftsschutz bei.

Ulrich Berger

 

Geschichte des Monats, Schulklasse bei Apfelernte

Nordheimer Schulklasse bei der Apfelernte.

 

Geschichte des Monats, Mobile Obstpresse

Die mobile Obstpresse in Aktion.

 

Geschichte des Monats Mai

 

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