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Geschichte des Monats April

Erfasst von: Redaktion, WZ | 02.04.2020 – 23.04.2020

Geschichte des Monats April:

Aus der Geschichte des Handwerks in Nordheim

 

Bereits aus der Zeit der frühgeschichtlichen Besiedelung unserer Heimat finden sich bei Bodenfunden Spuren von Handwerkern: Steinwerkzeuge und Reste von Tongefäßen aus der Jungsteinzeit, Klingen und verschiedene Metallteile aus der Bronzezeit, Webgewichte und Eisenteile aus der Keltenzeit, ebenso der aus Sandstein gearbeitete römische Löwe (Abguss im Park) sind Beispiele von früheren handwerklichen Tätigkeiten auf unserer Markung. Bereits in dieser frühen Zeit bildeten sich Spezialisten heraus, die großes Wissen und viel Erfahrung hatten über das zu bearbeitende

Material wie Stein, Holz, Ton oder Metall und die besonderes praktisches Geschick besaßen. Diese Spezialisten kann man als die ersten Handwerker bezeichnen. Mit Zunahme der Bevölkerung nahm die Arbeitsteilung weiter zu, so dass Menschen auch von der Herstellung ihrer Produkte leben konnten. Vor allem die Herstellung und Bearbeitung von Metallen und das Schmieden von Waffen waren hoch angesehen.

 

 

Metallverarbeitende Berufe dürften wohl daher zu den ältesten und wichtigsten Handwerksberufen gehören.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts kam das produzierende Handwerk durch Industrieprodukte zunehmend in Bedrängnis. Auch die Erfindung neuer Materialien wie Kunststoff brachte große Veränderungen für das Handwerk. Mit billigen Massenprodukten, z.T. aus fernen Ländern, konnten die als Einzelstücke vom Handwerker gefertigten Waren wie Hosen, Körbe, Tische, Betten oder Schuhe preislich nicht konkurrieren. Viele alte Handwerke sind durch diese Entwicklung in den letzten ca. 50 Jahren ganz verschwunden oder nur noch vereinzelt anzutreffen, so z.B.: Korbflechter, Schneider, Schuhmacher, Schmied, Fassküfer, Sattler, Weber.

Eine große Veränderung vollzog sich auch bei der Wertschätzung von Waren und Gütern. Dass man z.B. noch brauchbare, völlig intakte Möbel zum Sperrmüll gibt, wäre vor 100 Jahren undenkbar gewesen. Jedes Kleidungsstück, jedes Wäschestück oder jeder Haushaltsgegenstand hatte einen gewissen Wert. War etwas beschädigt oder defekt, hat man es repariert. Trat ein Todesfall und anschließender Erbfall ein wurde genau festgelegt, wer welchen Gegenstand bekommt. Der Wert jedes Teils, ob Gesangbuch, Bettwäsche, Hammer oder Bratpfanne wurde geschätzt und notiert als Grundlage für die Realteilung. Eine Bettlade oder ein paar Stiefel fanden immer einen Abnehmer, ggf. wurden sie verkauft und die Einnahmen der verkauften Gegenstände an die Erben verteilt. Wertlos war nichts, alles fand einen Abnehmer und wurde weiter verwendet.

Diese Wertschätzung von Waren und Gütern ist heute nicht mehr vorhanden, wir haben eine völlig andere Verbraucherkultur entwickelt. Handel und Werbung sorgen dafür, dass Waren schnell ersetzt werden, ihre Lebenszyklen möglichst kurz sind. Das gilt für fast alle Bereiche des täglichen Lebens, ob Kleidung, Möbel oder Elektroartikel usw. Diese Entwicklung schadet dem produzierenden Handwerk, da hier die Preise zwangsläufig höher sind wie bei den als Massenware industriell gefertigten Gütern, der produzierende Handwerker ist nicht konkurrenzfähig.

Was wissen wir nun über das Handwerk oder über Nordheimer Handwerker in früheren Zeiten? Die ältesten schriftlichen Belege für Handwerker finden wir in den Kirchenbüchern des 16. und 17. Jahrhunderts, wo teilweise bei Heirat, Taufe oder Tod eine Berufsbezeichnung eingetragen wurde. Da allerdings nicht bei jedem Kirchenbucheintrag die Berufsbezeichnung verzeichnet ist, kann keine genaue Aussage über die tatsächlich vorhandenen Handwerker gemacht werden. Für das 16. Jahrhundert sind folgende Handwerksberufe in Nordheim belegt:

Bäcker, Metzger, Müller, Schmied, Küfer, Schuhmacher, Schneider, Weber. Nicht genannt sind  Bauhandwerker wie Maurer und Zimmermann sowie ein Wagner.

 

 

Damit ein Handwerker existieren kann, muss genügend Bedarf für seine Arbeit vorhanden sein. Dieser hängt ab von der Zahl der Einwohner und von deren Zahlungsfähigkeit. Von der Mitte bis zum Ende des 16. Jahrhunderts hatte Nordheim zwischen 460 und 500 Einwohner, die meisten davon waren arme Leute. Die Menschen damals waren weitgehend Selbstversorger, d.h., die Dinge welche sie zum Leben brauchten, kamen aus eigener Produktion. Getreide, Milch, Eier, Fett, Gemüse (z.B. Kohl, Bohnen, Erbsen, Linsen) Fleisch usw. lieferte Stall, Garten und Feld. Bares Geld kam nur ins Haus, wenn Überschüsse produziert und verkauft wurden, etwa im Herbst durch den Verkauf von Wein. Meist wurden Handwerkerrechnungen erst dann bezahlt, wenn eigene Verkaufserlöse eingetreten waren. Früher wurde bei Handwerkern, Händlern und selbst in der Gastwirtschaft häufig angeschrieben (der Schuldbetrag aufgeschrieben) und bei Gelegenheit bezahlt. der „Hauptzahltag“ für Handwerkerrechnungen war in Nordheim an Martini (11.11.). Da konnten die Bauern ihre Ernteerlöse überblicken und einteilen. Das bedeutete, dass ein Handwerker oft lange warten musste bis er das Geld für seine geleistete Arbeit und sein Material erhielt.

 

Nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) und dem Franzoseneinfall von 1693 sowie weiteren kriegerischen Ereignissen im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges 1701-1714 gab es in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts einen gewissen Neuanfang für unser Dorf. Diese positive Entwicklung kam natürlich auch den Handwerkern zu Gute. In alten Steuerunterlagen aus den Jahren 1718 und 1734 werden die damals ansässigen Handwerker aufgezählt.

Im Jahr 1718:

3 Bäcker: Philipp Widenmeyer, Mattes Widenmeyer, Bernhard Siegler

3 Metzger: Paul Rißer, Ochsenwirt, Jerg Kayser, Rosenwirt, Balthas Bender, Sonnenwirt

4 Küfer: Johann Müller, Hans Jerg Müller, Jacob Englert, Joh. Jacob Englert

3 Schuhmacher: alt Peter Engelbrecht, jung Peter Engelbrecht, Philipp Schweickher

3 Schneider: Hans Jerg Bechtolph, Andreas Reich, Philipp Meyer

2 Schmied: Christoph von Olnhausen, Hans Jerg Horn

1 Wagner: Christoph Gutbrodt

2 Weber: Melchior Göhrings Wittib, Hans Jerg Häberle

1 Schreiner: Melchior Rittweger

1 Barbierer: Johann Michael Raith

Müller: Hans Michael Belschner (Beltzner); mit Christoph Rappold, Müller zu Frankenbach

(beide waren Müller auf der Unteren Mühle; die Obere Mühle gab es erst ab 1723/24)

2 Zimmermann: Jacob Greulich, Jacob Höfelbauer

0 Maurer

 

 

 

26.05.1674 Den 26. Maii sindt eingesegnet wordten Peter Engelbrecht ein Schuomacher, und Burgers Sohn von Nürnberg, und mit Ihme Catharina Margretha Schröttlerin, Schulmeisters alhier eheliche Dochter.

 

 

 

 

1734 werden die Handwerker ohne Namen nur zahlenmäßig im Steuerbuch aufgeführt. Die Situation ist ähnlich wie 1718, allerdings kommen noch drei Maurer hinzu, in den Kirchenbüchern erscheint in dieser Zeit außerdem noch ein Sattler. Für das von Landwirtschaft und Weinbau geprägte Dorf Nordheim waren das Vorhandensein der Berufe Küfer, Schmied, Wagner und Sattler von großer Bedeutung:

 

Der Küfer hatte weniger mit der Kellertechnik und mit dem Weinausbau zu tun. Sein Arbeitsschwerpunkt lag auf der Herstellung und Reparatur der Gefäße für die Traubenlese, den Traubentransport und die Weinlagerung. Er stellte Zuber, Fässer, Bütten, Gölten, Butten, Kübel usw. her. Oft machte er daneben auch Saukübel, Eimer, Badzuber oder Güllefässer. Die Werkstatt eines Küfers konnte man von weitem erkennen an den hoch aufgeschichteten Türmen aus Eichenbrettern, den sogenannten Fassdauben, aus denen die Fässer gefertigt wurden.

Rechts im Bild der hoch aufgeschichtete Daubenturm aus Eichenbrettern („Fassdauben“) in der Kirchstraße

 

 

 

 

Den Schmied benötigte man nicht nur zum Beschlagen von Pferden, Ochsen und Kühen. Er machte auch alle Metallteile, die für die Herstellung eines neuen Leiterwagens erforderlich waren bis hin zu den Eisenreifen, die in heißem Zustand auf das Holzrad aufgezogen werden mussten. Der Schmied „dengelte“ (schärfte) die Sense, er schärfte Meisel und Spitzhacke, er schmiedete alle Arten von Hacken, Äxten und Beilen und sorgte für das Funktionieren der Pumpen an den Gemeindebrunnen.

 

 

 

Aufziehen eines Eisenreifens auf ein Wagenrad in der Schmiede von Jakob Frank

 

 

Der Wagner hatte seine Werkstatt in unmittelbarer Nähe des Schmieds. Beide Handwerker arbeiteten eng zusammen, wie z.B. bei der Herstellung eines Leiterwagens. Aber auch die Stiele für Äxte, Beile und Hacken wurden vom Wagner gefertigt. Die Herstellung von Schubkarren, Leitern oder die Holzteile für ein Kummet gehörten ebenfalls zum Repertoire eines Wagners.

Der Sattler ummantelte die hölzernen Kummete für Kühe und Pferde nach dem Polstern mit einem Überzug aus Leder. Auch alle anderen lederne Bestandteile des Zuggeschirres wie Leitseil, Bauch- und Rückengurt, Trense, Stirnband usw. wurden vom Sattler gemacht.

 

Betrachtet man den Bestand der Handwerker in Nordheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts, findet man im Handwerkeradressbuch von 1928 eine Vielzahl von Namen und Berufen:

Bäcker: Wilhelm Eberbach (heute Bäckerei Hofmann), Wilhelm Karle (heute Bäckerei Böhm), Ernst Magenau, David von Olnhausen

Baugeschäfte: Wilhelm Blatt, Karl Cleesattel, Gustav Lehmann, Wilhelm Lehmann, Adolf und Wilhelm Wirth, Friedrich Wirth

Flaschner: Friedrich Mössinger

Friseur: Gottl. Schweikert

Gipser: Gottlob Kicherer

Korbmacher: Karl Stromaier

Küfer: Wilhelm Bachmann, August von Olnhausen, Karl Schneider

Maler: Eugen Kohler, Wilhelm Müller, Wilhelm Schneider

Maurer: Friedrich Engelbrecht, Adolf Lehmann, Chr. Lehmann

Metzger: Hermann Böhler, Fritz Langer, Adolf Schmid (Rose), Adolf Siegler (Fortuna)

Müller: August Haldenwang, August Notz

Näherin: Pauline Wagner

Sattler: Hermann Beck

Schlosser: August Bachmann, Wilhelm Botzenhardt, Adolf Rothweiler (Traube)

Schmiede: Jakob Frank, Albert Umbach

Schneider: Wilhelm Böhler, Karl Diefenbacher

Schreiner: Gottfried Heilmann, Eugen Krieg, Friedrich Schmied, Heinrich Werner

Schuhmacher: Gustav Binder, Christian Frank, Ludwig Wolf

Wagner: Wilhelm Hieber, Karl Rudolf

Zimmerer: Friedrich Dorn jr., Hermann Kyriß, Wilhelm Kyriß

 

 

Nordheimer Handwerker: Gipser, Maler und Flaschner sitzen auf dem Glockenstuhl im Kirchturm. Von links: unbekannt, Eugen Kohler, ? Oppenländer, Karl Cleesattel,

Otto Kicherer, Otto Mössinger, unbekannt; auf der Glocke: Albert Mössinger; um 1930

 

 

Viele der alten Berufe gibt es heute nicht mehr, neue sind entstanden wie Elektriker, Fliesenleger, Automobil-Mechatroniker (früher Automechaniker), Systemelektroniker usw. Für das Handwerk wird es zunehmend schwieriger, im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte Auszubildende und Fachkräfte im notwendigen Umfang und mit der entsprechenden Qualifikation zu gewinnen. Dennoch bieten Handwerksberufe sowohl für den Einzelnen als auch für die gesamte Wirtschaft auch heute noch große Chancen und viel Potential.

                                                                                                                                  Ulrich Berger

 

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