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Mitteilungsblatt Nordheim

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„Geschichte“ des Monats August:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 09.08.2018 – 23.08.2018

Flucht vor der Armut – Suche nach Glück? Ein Nordheimer stirbt 1858 mittellos in Athen

 

Im Sommer 1858 erhielt Schultheiß Kaiser im Nordheimer Rathaus eine Nachricht vom Oberamt in Brackenheim über den Tod eines Nordheimers, der in Athen gestorben war. Vorausgegangen war ein Schreiben des Ministeriums des Inneren in Stuttgart vom 17. Juni an das Oberamt in Brackenheim. In diesem Schreiben aus Stuttgart wurde erklärt, dass man durch Vermittlung des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten von der bayrischen Gesandtschaft in Athen den Totenschein des dort verstorbenen Christoph Frank aus Nordheim erhalten habe. Außerdem lägen dessen Wanderbuch und ein Bericht vom 10. Mai des Königlich-Bayrischen Ministerresidenten in Athen bei. Das Oberamt Brackenheim wurde nun gebeten, über das Schultheißenamt Nordheim die Verwandten des Verstorbenen zu informieren sowie das Pfarramt wegen des Eintrags in die Kirchenbücher. Angehörige dieses Frank-Zweiges der insgesamt sehr zahlreichen „Frank“ in Nordheim gibt es heute hier nicht mehr.

Beide Schriftstücke aus Athen sind im Gemeindearchiv noch vorhanden, sie geben Auskunft über die letzten Lebensjahre des in Athen verstorbenen Nordheimers Christoph Frank. Hier die wörtlichen Abschriften:

 

 

Abschrift des Berichts vom 10.5.1858             Brief des Hofpredigers I.M. der Königin von

der Königl. Bayrischen Gesandtschaft in        Griechenland, B. Kansen (Auszug aus dem

Athen                                                                        Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde
                                                                                    zu Athen)

 

Abschrift des Berichts vom 10.5.1858

Im April des vorigen Jahres präsentierte sich Rubrikat (= Bittsteller, Antragsteller), - nachdem er schon einige Zeit hier gewesen, bei der Kgl. Gesandtschaft mit der Bitte, ihm sein beiliegendes Wanderbuch nach Messina und Neapel zu visieren und ihm zugleich eine Unterstützung zu seiner Weiterreise zu verabfolgen, da er ganz mittellos sey.

Das verlangte Visa wurde ihm gegeben, dagegen wurde ihm nach genommener Einsicht seines Wanderbuches bemerkt, daß er, wenn es ihm mehr ums Arbeiten als ums Reisen Ernst sei, sich sehr gut hier fortzubringen Gelegenheit finden werde.

 

Mehrerer Sprachen kundig, fand derselbe bald in einem hiesigen Gasthofe eine gute Unterkunft als Kellner. Die Ersparnisse aber, welche er sich hätte machen können gingen jedoch – nach dem Zeugnisse seiner hiesigen Bekannten – in Vergnügungen auf, so dass demselben als er krank ward nichts übrig blieb als seine silberne Taschenuhr nach dessen Tode verwerthet zu 35 Drachmen und einige getragene Kleider, Wert 10 Drachmen aus deren geringen Gesamterlös die Auslagen für den Sarg zu 35 Drachmen und der Todtengräber 10 Drachmen bestritten wurden.

 

Bericht des Hofpredigers der Königin von Griechenland vom 2. März 1858:

Auszug aus dem Kirchenbuch der evangelischen Gemeinde zu Athen. Am 27. Februar ist hieselbst gestorben und am 28sten Februar des Jahres 1858 beerdigt worden: Christoph Frank aus Nordheim, geboren den 21. September 1821, seines Gewerbes ein Seidenweber. Er kam auf der Rückreise aus dem Orient, nachdem er Frankreich, Italien, Spanien, Portugal besucht, in Algier sowie später in der englischen Fremdenlegion Kriegsdienste gethan, über Damaskus, Jerusalem, Alexandria, Smyrna nach Athen. Hier hielt er sich ungefähr ein Jahr lang als Kellner auf und starb an einer Lungenentzündung, nach 8tägiger Krankheit unverehelicht.

 

Wer war dieser weitgereiste Nordheimer, was können wir im Nachhinein noch über ihn in Erfahrung bringen?

Christoph Frank wurde am 21. September 1821 als zweites von insgesamt sieben Kindern geboren, fünf davon wurden erwachsen. Seine Eltern waren einfache, wenig begüterte Bauersleute. Sie besaßen die Hälfte an einem zweistöckigen Häuschen mitten im Dorf hinter der Kirche am Dorfgraben (Nr. 27).                                                       Der Familie Frank gehörte Haus Nr. 27 und die Scheune
                                                               von 42a; die Kirchstraße war eine Sackgasse

 

Kirche und Schule lagen für Christoph Frank vor der Haustüre. In die Schule musste man damals ohnehin nur sieben Jahre, allerdings an sechs Tagen in der Woche, im Sommer in der Oberklasse schon ab 6.00 Uhr morgens. Nach der Konfirmation 1835 ging Frank vermutlich in die Lehre bei einem Weber, da er später mehrmals als Webergeselle und sogar als Seidenweber bezeichnet wird. Die elterliche Landwirtschaft war zu klein, um die ganze Familie ernähren zu können, und sie bot wenig Perspektive für einen der Söhne. Zu diesen misslichen privaten wirtschaftlichen Verhältnissen der Familie Frank kamen in dieser Zeit auch zunehmend schlechte äußere Rahmenbedingungen hinzu, und zwar sowohl wirtschaftlich als auch politisch.

Eine schwere Wirtschaftskrise herrschte seit 1846 in den deutschen Ländern. Missernten verursachten erhebliche Verteuerung der Nahrungsmittel. Dies führte zu verschärften sozialen und politischen Spannungen in den Jahren 1847/48. Auch in der hiesigen Gemeinde machte den Menschen die Nahrungsmittelknappheit zu schaffen. Pfarrer Fleischmann berichtet, dass das Jahr 1847 der Gemeinde große Not brachte.

Links das Schulhaus von 1804

 

Die „Brotfrüchte“(Getreide) und die Kartoffeln, welche in Folge der schon mehrere Jahre andauernden Kartoffelkrankheit zum Teil unbrauchbar geworden waren, standen so hoch im Preis, dass nicht nur die ärmeren Familien sich kümmerlich ernähren mussten, sondern auch „mittlere“ Bürger Mühe hatten durchzukommen und genötigt waren, Brotschulden zu machen. Die Gemeinde kaufte Mehl und Getreide an, außerdem wurde von März 1847 an bis zum Beginn der Ernte zur Abwendung der Noth bei den ärmeren Ortsangehörigen, eine SuppenAnstalt gegründet [...].

Viele Württemberger suchten in dieser Zeit ihr Glück in der „Neuen Welt“ zu machen, weil sie in der Heimat kein Fortkommen, keine Perspektive mehr hatten. Nach offiziellen Angaben wanderten aus Württemberg in den Jahren von 1846 bis 1861 über 224 000 Personen aus.

Wie gestaltete sich nun die Situation der Familie Frank mit vier erwachsenen Söhnen und einer Tochter? Bereits 1844 wird vermeldet, dass der älteste Sohn Johann Philipp (*1820) am 2. Februar in Marseille gestorben war. Vielleicht war er in der Fremdenlegion? Am 7. Dezember 1849 starb die Ehefrau und Mutter im Alter von 59 Jahren an einer Lungenlähmung. Im Folgejahr arbeitete Christoph Frank als Weber in Frankenbach, seine 1823 geborene Schwester arbeitete als Dienstmädchen in Mannheim, Johannes (*1825) war zuhause beim Vater und der jüngste Bruder Carl Friedrich (*1830) ging als Schreinergeselle nach Mannheim, zeitweise war er auch auf der Wanderschaft. Als der Vater 1856 mit 64 Jahren an einer Unterleibsentzündung starb, musste laut Gesetz die Realerbteilung durchgeführt werden. Von den fünf Kindern war nur der Sohn Johannes persönlich anwesend. Die Tochter Friederike hatte 1854 in Mannheim den Gärtner Johannes Heckmann geheiratet. Bei Christoph Frank steht zu lesen: in der Fremde, unbekannt wo. Carl Friedrich Frank arbeitet zu der Zeit als Schreinergeselle in

Mannheim. Alle nicht persönlich anwesenden Erben wurden durch einen Bevollmächtigten vertreten.

Das aktive Vermögen des verstorbenen Vaters betrug 111

1 Gulden. Dem gegenüber standen Schulden in Höhe von 730 Gulden. Nach Abzug aller Unkosten (Gebühr

en, Beerdigungskosten, Arztkosten etc.) stand jedem Kind noch ein Erbteil von 87 Gulden zu. Das Erbteil des in der Fremde an unbekanntem Ort weilenden Sohnes Christoph wurde vom Bevollmächtigen zu einem Zinssatz von 5% verliehen. Der einzige in Nordheim ansässige Sohn Johannes heiratete 1857 Rosine Cleesattel. Von ihren zehn Kindern starben vier bereits im Kleinkindalter. Ein Sohn ertrank 1876 im Alter von 17 Jahren im Neckar, 1886 ebenso eine Tochter mit 25 Jahren.                                   

                                                                                        Den Empfang mit sechs Gulden

                                                                                        für den Sarg des entschlafenen

                                                                                        Phillip Frank von hier

                                                                                        bescheinigt hiermit

                                                                                        Nordheim den 13.Oktbr. 1856

                                                                                       Fried. Engelbrecht

 

Nachdem in Nordheim nun im Sommer 1858 aus Athen ein amtlicher Totenschein von Christoph Frank vorlag, musste noch sein nicht angetretenes väterliches Erbe aus dem Jahr 1856 geregelt werden. Verhandelt wurde vor dem „Amtsnotariat und Waisengericht“ am 17. Juli 1858. Persönlich anwesend war wieder nur der in Nordheim ansässige Bruder Johannes Frank. Die Schwester Friedericke, verheiratete Heckmann aus Mannheim wurde durch einen Bevollmächtigten vertreten. Der jüngste Bruder Carl Friedrich war als Schreinergeselle auf Wanderschaft unterwegs mit unbekanntem Aufenthalt, auch er erhielt einen Bevollmächtigten. (1859 kam eine Mitteilung, dass er in Schwetzingen geheiratet hat.) Nach Verrechnung sämtlicher Gebühren erhielt jedes der drei Geschwister aus dem väterlichen Anteil des verstorbenen Bruders Christoph Frank noch einen Betrag von 28 Gulden 26 Kreuzer zugesprochen.

Von dieser Frank-Linie gibt es in Nordheim keine Spuren mehr. Auch auf dem Friedhof in Athen dürfte von Christoph Frank nichts mehr zu finden sein. Da er mittellos verstarb, bekam er dort bestenfalls ein Holzkreuz, mit Sicherheit erhielt er keinen Grabstein. Erstaunlich ist, dass der Tod eines armen, ledigen Wanderburschen in Athen im Jahre 1858 einen so ausführlichen Schriftverkehr über verschiedene Dienststellen bis schließlich nach Nordheim verursachte. Leider ist über den Verbleib des aus Athen mitgeschickten Wanderbuches mit den zahlreichen Eintragungen der besuchten Orte und Länder nichts bekannt. Ob Christoph Frank nun ein Glücksritter und Abenteurer war oder nur auf der Flucht vor der Armut war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Das große Glück hat er in seinem bewegten Leben jedenfalls nicht gefunden.

                                                                                                                                               Ulrich Berger

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