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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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„Geschichte“ des Monats Januar 2018

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 08.01.2018 – 22.01.2018

Nordheimer „Latrinenhandel“ – Düngen mit Mist und Latrine

 

„Do hilft alles bete nix, do muas Mischt no“ – diesen Spruch hört man im Schwäbischen, wenn eine Sache nicht so recht gelingen oder gedeihen will. Auch im frühen Mittelalter erkannte man bei der Zweifelderwirtschaft, später bei der Dreifelderwirtschaft, wie wichtig die Erholung des Bodens und dessen Düngung ist. Das Brachland wurde als Weideland benutzt für Rinder und Schafe, die für eine natürliche Düngung sorgten.

 

Wie wichtig eine gute Düngung war, zeigt der Hinweis in einem Erblehensbrief aus dem Jahr 1483, der als Abschrift im Pfarrlagerbuch von 1570 erhalten ist und wo es neben dem Hinweis, dass die Lehensnehmer die Äcker umgraben und bewässern sollen, weiter heißt: sollen auch alle Jar, kein Jar ausgenommen, mit guetter Kundtschafft anderhalben Morgen Ackers inn dem Sommerbaw mit guetem Mist wohl thungen und überschitten, wo es aller nöthigst ist…

Als im 18. Jahrhundert die Dreifelderwirtschaft aufgegeben wurde und sich die Stallviehhaltung immer mehr durchsetzte, reichte der anfallende Dünger aus den Ställen oft nicht aus, um die Äcker, Wiesen und 

Der „Frühmesser“ Johannes Stöcklin ver-
leiht 1483 seinen Pfründhof, den er von
Hans Lämlin verliehen bekam, weiter an
Abel und Elsa Fleckher und Claus und
Elsa Wörner (Werner).

 

Weinberge ausreichend mit Nährstoffen zu versorgen. Bei jedem Bauernhaus in Nordheim befand sich früher eine „Miste“ für den Stallmist, darunter das „Brühloch“ für die Gülle und eine Pumpe dazu. Die Miste sollte nahe beim Stall sein, doch auch so liegen, dass man geschickt hinfahren und den Mistwagen oder das Güllefass gut beladen konnte. Aus Gründen der Hygiene und wegen des Ortsbildes unterlagen die Dungstätten (= „Misten“) bestimmten Vorschriften. 1855 heißt es in einem Protokoll des Ruggerichtes: Die Dungstätten an der Straße müssen den Vorschriften gemäß mit einer 3 Fuß hohen Brettereinfassung versehen werden….Die Dungstätte des Heinrich Hechler ist von dem Kandel zurückzuweisen und demselben gleichfalls die vorschriftsmäßige Einfassung aufzugeben… Und im Visitationsbericht von 1883 steht: Karl Dopfels Witwe hat ihre Dunglagerstätte

 


Pferdefuhrwerk mit einer Ladung Mist                      Miste mit Güllepumpe

(Hermann Mehrer, Nordhausen)                                  (Wassergasse)

 

vorschriftsmäßig einzufassen und ihr Güllenloch vorschriftsmäßig zu bedecken… Welche Folgen die Verunreinigung für nahegelegene Brunnen haben konnte, zeigt die amtsärztliche Schließung des Kapellenbrunnes 1885: Das Wasser in dem Gemeindebrunnen unterhalb der „Rose“ ist schon seit Anfang des Sommers 1885 verunreinigt und zwar derart, dass es für Waschen nicht mehr taugt und für Vieh nur mit Gefahr einer Gesundheitsschädigung gebraucht werden kann. Der Bau eines neuen Brunnens wurde daher angeordnet.

 

Stalldung war ein knappes und kostbares Gut, das über Jahrtausende hindurch der natürliche Hauptdünger in der Landwirtschaft war. Die Gewinnung hochwertigen Stallmistes, seine richtige Lagerung und Ausbringung war eine „Wissenschaft“ für sich. Seine Qualität hing auch von der Tierart, der Art der Fütterung und von der Einstreu ab. Fest und feucht sollte der Mist sein, er sollte nicht zu hoch auf der Miste aufgeschichtet sein, Regen sollte ihn nicht zu sehr auswaschen und nach dem Ausbringen durfte er nicht zu tief untergepflügt werden.

 

 

 

 

 

 

Ein Jauchefass wird gefüllt

 

Bei Knappheit von Stalldünger spielte die Düngung mit Abort-, Fäkal- oder Kloakendünger am Ende des 19. Jahrhunderts eine immer größere Rolle. In den Städten wuchs die Bevölkerung rasch, so dass in Städten wie Heilbronn oder Stuttgart große Mengen an Fäkal- oder Latrinenmaterial anfielen  die entsorgt werden mussten. Bereits seit 1892 ist der regelmäßige Bezug von Latrine mit der Bahn aus Stuttgart nach Nordheim durch den Landwirt und Ökonomen August Boger belegt. Boger hatte seit dem 20.4.1892 einen Vertrag mit der Stadt Stuttgart über die Abnahme einiger Eisenbahnwagen Latrine pro Jahr. Zwar bezog er in den Jahren 1896, 1897, 1899 und 1900 keine Latrine, doch 1903 bezog er immerhin 8 Wagen mit diesem kostbaren Gut. Ob er dies nur für den Eigenbedarf anschaffte oder auch als Wiederverkäufer für andere Landwirte fungierte, ist nicht mehr feststellbar. Ein Eisenbahnwaggon fasste etwa 30 Eimer, das entspricht einer Gesamtmenge von etwa 9000 Litern (1 Eimer entspricht ca. 300 Litern), was für einzelne Grundbesitzer eine zu große Menge gewesen wäre.

Wie gefragt der Latrinedünger war, zeigt eine Eintragung im Gemeinderatsprotokoll vom 11.4.1903: Die hiesigen Landwirte sind schon längst bestrebt, eine Fäcal-Sammelgrube am hiesigen Bahnhof zu erhalten, da dieser Dünger jedem anderen vorzuziehen sei. Im Sommer 1903 machten 92 Grundbesitzer eine Eingabe bei der Gemeinde und baten um den Bau einer Latrinengrube. Sie erklärten sich namentlich bereit, zwischen 5 und 200 Eimer, insgesamt 3 360 Eimer Latrine pro Jahr abzunehmen. Die Gemeinde Nordheim sah sich deshalb genötigt, eine derartige Sammelgrube beim Nordheimer Güterbahnhof anzulegen. Dazu heißt es im Protokoll vom 19.9.1903: … wurde die Anlegung einer Latrinengrube am Güterbahnhof dahier genehmigt, nachdem die Güterbesitzer infolge der Abschaffung der Schäferei immer mehr die Beschaffung von Latrine verlangten, welche das beste und am schnellsten wirkende Düngemittel sei…

 

 

Plan der Nordheimer Latrinengrube am        Schnitt durch die Anlage, links der
Bahnhof, gefertigt 1903 von der                      Einfülltrichter; Innenmaße 17,4 m x 10,2 m,
Latrineninspektion Stuttgart                             Höhe 3,2 m; Fassungsvermögen 568 m³

 

Die Anlage befand sich zwischen dem Weg nach Klingenberg und den Parkplätzen (ehemaliger „Häckselplatz“). Die Umfassungsmauern waren ca. 60cm stark, die Grubensohle wurde von Maurer Gottlob Cleesattel mit Portlandcement erster Güte gefertigt. Die Befüllung aus den Eisenbahnwaggons erfolgte durch einen Trichter und eine 17 m lange und über 20 cm dicke Röhre. Latrinenverwalter wurde der Schmied Matthäus Koch. Er erhielt 2 Pfennig pro verkauften Hektoliter, für das Entladen eines Eisenbahnlatrinenwagens bekam er 30 Pfennig. Verwalter Koch war für den Unterhalt und die Wartung der gesamten Anlage zuständig, auch für die Reinigung der Grube. Dabei wurde die abgesetzte dicke Masse mit Wasser aufgelöst und danach zum halben Preis verkauft.

Die Latrine kam ab Dezember 1903 überwiegend von der Stadt Heilbronn. Anfangs kostete ein Eisenbahnwagen Latrine aus Heilbronn 21 Mark, ab 1917 musste Nordheim zusätzlich 15 Mark Frachtkosten übernehmen. Im Jahr 1912/13 wurden 520 953 Liter Latrine abgesetzt, im Folgejahr waren es allerdings nur noch 118 741 Liter. 1921 wurden nur noch 96 795 Liter verkauft. In der Anfangszeit bezahlten hiesige Abnehmer nur 33 Pfennig pro Hektoliter, im Laufe der Jahre brachte die Anlage aber Verlust, so dass der Preis immer wieder angehoben werden musste. 1921 kostete die Latrine 4,35 Mark pro Hektoliter, fremde Käufer bezahlten 4,45 Mark.

Nach dem ersten Weltkrieg ging die Nutzung der Grube immer mehr zurück. In der Landwirtschaft nahm die Bedeutung der Fäkaliendüngung ab, der Einsatz von Kunstdünger dagegen nahm immer mehr zu. Man hatte inzwischen auch gemerkt, dass bei unsachgemäßer Fäkaliendüngung Geruch und Geschmack der Feldfrüchte ungünstig beeinflusst wurden. Auch war diese Art der Düngung nur in gewissen Jahreszeiten möglich, die Latrine fiel aber ganzjährig an. Im Jahr 1941 wurden die Verträge mit der Stadt Heilbronn und mit der Reichsbahn aufgelöst, die Gemeinde Nordheim musste den ursprünglichen Zustand des Geländes wieder herstellen.

 

Das Gelände der ehemaligen Latrinensammelgrube wurde ab etwa 1950 von dem Maurer und Bauunternehmer Karl Morlok gepachtet. Er fertigte dort Betonsteine und Eisenbetonträger für Eisenbetondecken. Für die damalige Zeit eine fortschrittliche Idee für den Fertigteilebau. 1958 kündigte die Gemeinde den Pachtvertrag mit Morlok, da an diesem Platz eine Sammelkläranlage gebaut werden sollte.

 

Betonfertigteile von Karl Morlok

auf einer Heilbronner Baustelle

 

Für den Teil der Einwohnerschaft, der keine eigene Miste mit Jauchegrube am Haus hatte, wurden die anfallenden Fäkalien in Sickergruben gesammelt und entweder in Eigenregie auf eigene Grundstücke ausgebracht oder durch Abfuhr entsorgt. Diese Aufgabe übernahm in Nordheim bis in die 60er Jahre die Firma Otto Frank und Söhne. Mit einem Tankwagen, aus dessen Kessel durch eine Pumpe Luft abgesaugt wurde, wurde so die Latrine eingesaugt und auf Grundstücken, ab 1960 auch in der örtlichen Kläranlage, entsorgt.

Neue Spülaborte mit Sickergrube wurden ab 1957 nicht mehr genehmigt, die Kommunen sollten Sammelkläranlagen zur Reinigung des Abwassers errichten. Eine solche Anlage wurde in Nordheim ab 1957 geplant und am 1. Juli 1960 eingeweiht. 1967 wurde auch Nordhausen an diese Kläranlage angeschlossen. Seit 1971 ist Nordheim an die Heilbronner Sammelkläranlage angeschlossen, die frühere Anlage am Neckar dient nur noch als Regenüberlaufbecken.                 Frühere Sammelkläranlage am Weg Richtung  
                                                                              Klingenberg

                                                                                                                                               Ulrich Berger

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