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Mitteilungsblatt Nordheim

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„Geschichte“ des Monats Dezember 2017

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 05.12.2017 – 19.12.2017

„Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden“ – Glocken in Nordheim

Dieser Satz stammt aus der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums, und er wird auch gerne als mehrstimmiger Kanon in der Weihnachtszeit gesungen. Der Satz ist gleichlautend mit dem Titel der Schrift „Beitrag zur Nordheimer Glockengeschichte“ von Norbert Jung und Ulrich Berger, die vor 20 Jahren erschienen ist. Dieses „Nordheimer Glockenbuch“ wurde bei einem Festabend am 20.6.1997 in der Bartholomäuskirche vorgestellt. Die erste Auflage war rasch vergriffen, sodass eine zweite Auflage gedruckt wurde. Der Erfolg dieser Schrift kann als Zeichen dafür gedeutet werden, dass die Glocken in Nordheim eine besondere Wertschätzung erfahren und dass man möglichst viel über diese „Instrumente“ wissen möchte. Eine Besonderheit ist, dass die Nordheimer Kirchenglocken im Laufe der Geschichte manches schlimme Schicksal erleiden mussten: Die Glocken der Nordheimer Bartholomäuskirche wurden drei Mal durch Brand vernichtet: 1693, 1810 und 1945. Für Kriegszwecke mussten 1917 zwei Bronzeglocken zum Einschmelzen abgeliefert werden, ebenso im Jahr 1942 die „Königsglocke“, ein Geschenk von König Friedrich Wilhelm I. von Württemberg aus dem Jahre 1812. Der aktuelle Glockenbestand in Nordheim (8 Glocken) stellt sich folgendermaßen dar:

 

Evangelische Bartholomäuskirche:

In der Glockenstube der evangelischen Kirche hängen seit 1955 vier Bronzeglocken, die als gebrauchte Glocken gekauft wurden. Nach dem Wiederaufbau der kriegszerstörten Kirche war die Kirchengemeinde verschuldet, und gebrauchte Glocken waren damals wesentlich günstiger zu bekommen als neu gegossene Glocken. Die größte der vier Glocken ist die Betglocke, sie wiegt 810 kg und hat einen Durchmesser von 109 cm. Sie wurde 1938 für die katholische Kirche in Trossingen gegossen, wo sie bis 1955 ihren Dienst tat. Die Betglocke begleitet durch den Tag, sie läutet am Morgen, am Mittag und am Abend. Die älteren Mitbürger erinnern sich vielleicht noch daran, dass das „Nachtläuten“ früher für Kinder das Zeichen zum Heimgehen war. Die Betglocke läutet am Sonntag eine Stunde vor dem Gottesdienst und zum Vaterunsergebet.

Die zweitgrößte Glocke ist die Kreuzglocke mit 455 kg Gewicht und einem Durchmesser von 92 cm. Sie wurde 1949 gegossen und stammt aus der Georgskirche Filderstadt-Bonlanden. Danach folgt die 314 kg schwere Zeichenglocke, gegossen 1950 bei Heinrich Kurtz in Stuttgart. Die kleinste Glocke ist die Taufglocke, sie ist auch die älteste unserer derzeitigen Glocken. Sie hat einen Durchmesser von 70 cm und wiegt 190 kg. Gegossen wurde sie 1570 in der Hütte von Josth van Westen in Stargard/Pommern für die Gemeinde Altstüdnitz.

 

Aufzug der Glocken 1955

 

Katholische Kirche St. Maria:

Auf dem frei stehenden Glockenturm des katholischen Gemeindezentrums St. Maria in der Hofstatt hängen zwei Glocken. Die kleinere davon, die Mutter-Gottes-Glocke, hing vorher auf dem Glockenträger der katholischen Kirche auf dem Weihen. Diese Glocke wurde 1953 von Bachert in Heilbronn gegossen, sie wiegt 104 kg und hat einen Durchmesser von 57 cm. Die zweite Glocke wurde 1990 ebenfalls von Bachert gegossen, sie wiegt 204 kg und hat einen Durchmesser von 67 cm. Diese Glocke war eine Spende der Gemeinde Nordheim und der Marval’schen Stiftung zur Einweihung des neuen Gemeindezentrums am 6.10.1990.

 

Katholisches Gemeindezentrum St. Maria        Glockenturm            Glocke von 1990

 

Die Friedhofsglocke:

Seit der Einweihung der neuen Aussegnungshalle auf dem Nordheimer Friedhof am 19.12. 1987 begleitet eine Glocke die Verstorbenen zu ihrem Ruheplatz. Diese Glocke kündigt den Beginn der Aussegnungsfeier an, sie erklingt während des Vaterunsers und ihr Klang begleitet den Sarg von der Aussegnungshalle bis zum Grab. Gegossen wurde diese Glocke 1987 von Bachert in Heilbronn. Die 146 kg schwere Glocke hängt in einem freistehenden Glockenturm und hat einen Durchmesser von 59 cm. Die Glocke wurde gestiftet von Altbürgermeister und Ehrenbürger Karl Wagner.

 

Die Rathausglocke:

Auf der Mitte des Dachfirstes des Alten Rathauses ist ein Dachreiter aufgesetzt, in dem die Rathausglocke hängt. Gegossen wurde sie 1925 von den Gebrüdern Bachert in Kochendorf und kostete damals 224 Reichsmark plus Fracht. Sie wiegt 56 kg und hat am unteren Glockenrand einen Durchmesser von 44 cm. Die Glocke diente als Feuerglocke, sie läutete zu Versammlungen, Ankündigungen und bei Verkäufen. Wir wissen fast alles über diese Glocke, nur wie sie klingt, weiß vermutlich niemand mehr. Vielleicht sollte man die Rathausglocke zu Beginn des nächsten Parkfestes, beim Backhausfest oder zur Eröffnung der Weiberzeche wieder einmal erschallen lassen? Falls sie bei der letzten Renovierung starr montiert worden ist, müsste man sie mit einer langen Stange „anstupfen“. Das dürfte für einen „Nordheimer Glockenstupfer“ kein Problem sein!

 

Die älteste, noch existierende Nordheimer Glocke hängt in Giengen an der Brenz:

Die älteste Nordheimer Glocke hängt in der Haube (Laterne) des Bläserturmes der evangelischen Stadtkirche in Giengen an der Brenz. Gegossen wurde sie während des 30jährigen Krieges 1625 in der Hütte des Nicolaus von Campen in Stuttgart. In einer Glockeninschrift werden wichtige Nordheimer Personen aus dieser Zeit erwähnt: Magister (Pfarrer) Jacob Walter, Schulheiß Burckhardt Acker, Michel Heimberger, Hans Nerdtlinger, Jochem Deboldt, Georg Walter und Jost Hester. Es wurde alles versucht, den Weg dieser Glocke nach Giengen zu ermitteln (Stadtarchiv Giengen, Stadtarchiv Ulm, Stadtarchiv Brackenheim, Pfarramt Giengen, Hauptstaatsarchiv Stuttgart) - bisher ohne Erfolg. Möglich, aber spekulativ wäre z.B., dass die Glocke nie nach Nordheim kam, weil Kriegswirren die Abholung und /oder Bezahlung verhinderten. Oder: Die Glocke wurde als Kriegsbeute von Soldaten mitgenommen und verkauft. Auf alle Fälle stimmen die Namen auf der Glocke mit damaligen Nordheimer Personen überein, doch gibt es nirgends Hinweise auf die Geschichte dieser Glocke. In einem Bericht der „Heidenheimer Zeitung“ vom 3.6.2017 heißt es: „Die älteste Glocke der Giengener Stadtkirche ist stumm, hängt allein anstatt bei ihren wesentlich jüngeren Schwestern und ist von geheimnisumwitterter Herkunft.“

 

„Die Nordheimer Glockenstupfer“:

Der Neckname der Nordheimer lautet „Glockenstupfer“, was auf ein besonderes Ereignis in der Vergangenheit hinweist. Viele Ortschaften in unserer Gegend tragen einen Übernamen, Necknamen oder Spottnamen, der sich auf ein mehr oder weniger wahres Ereignis oder auf eine schwankhafte Episode seiner Einwohner bezieht (Böckingen: „Seeräuber“, Großgartach: „Käsreiter“, Klingenberg: „Krautscheißer“). Der Spottname der Nordheimer ist die Bezeichnung „Glockenstupfer“. Das Motiv der versenkten oder vergrabenen, versteckten Glocke(n) erscheint in verschiedenen Ortschaften und ist relativ häufig. Manchmal wurden die Glocken in einem Brunnen versteckt oder auch unter Stallmist begraben. Für Nordheim wird in verschiedenen ausgeschmückten Erzählungen von einem Kahn berichtet, an dessen Bootsrand die Nordheimer eine Kerbe eingeschnitten hätten um die Stelle zu markieren, wo sie die Glocken versenkten um sie später auch wieder finden zu können.Diese Variante ist absolut identisch mit der Geschichte der Bürger aus Schilda, die ihre Glocke in einem See versenkten. Diese Version aus Schilda ist m.E. dem Kern der Nordheimer Geschichte hinzugefügt worden als Spitze des Spottes oder der Verdummung. Die Sage von den versenkten Nordheimer Glocken im Neckar ist in keiner historischen Quelle belegt, dennoch ist sie in der Bevölkerung sehr verbreitet. Es ist unwahrscheinlich, dass die Nordheimer ihre Glocken bis zum Neckar transportiert haben. Die Entfernung war groß und Nordheim hatte keinen eigenen Anteil am Neckar bzw. an seinem Ufer, sodass die Nordheimer ihre Glocken in fremdes Territorium gebracht hätten (am Neckar grenzte damals die Markung Lauffen an. Klingenberg bzw. Heilbronn).

Für Nordheim ist belegt, dass 1693 beim Franzoseneinfall die Kirche samt Glocken „in Aschen gelegt“ wurde. Als 1734 erneut Gefahr für Nordheim im Rahmen des Polnischen Erbfolgekrieges drohte wurde deshalb bei einer Beerdigung am 9. Mai 1734 „mit dem Rathausglöcklein geläutet, weilen die Kirchenglocken wegen des französischen Lärmens geflüchtet waren“ (geflüchtet bedeutet versteckt). Das ist der einzige schriftliche Hinweis und Beleg bezüglich versteckter Glocken.

 

Am 1. Dezember 2017 beginnt in Karlsruhe eine bundesweite, ökumenische Kampagne über die religiöse und kulturelle Bedeutung von Kirchenglocken unter dem Motto „Hörst du nicht die Glocken?“. Damit wollen die katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen Beitrag leisten zur Information über die Tradition und Bedeutung von Glocken. Im Laufe des Jahres 2018 soll deshalb in einer weiteren „Geschichte des Monats“ über den Glockenschlag und über das Läuten und seine Bedeutung sowie über die Glocken der Waldenserkirche Nordhausen berichtet werden.                                                                                    Ulrich Berger

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