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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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„Geschichte“ des Monats Oktober 2017:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 12.10.2017 – 26.10.2017

Nordheimer Reformationsfeiern 1817 und 1917

Der Beginn der Reformation wird allgemein auf den 31. Oktober 1517 datiert, dem Tag, an dem der Mönch Martin Luther seine 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasses an die Kirchentür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben soll. Ihre Ursachen und Vorläufer reichen aber wesentlich weiter zurück, und „Reformation“ bezeichnet im weiteren Sinn eine kirchliche Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1648, an deren Ende die Spaltung des westlichen Christentums steht. Über die Jubiläumsfeiern zum 300- und 400jährigen Fest der Reformation in unserer Nordheimer Gemeinde gibt es Aufzeichnungen, die nachfolgend dargestellt werden.

In einem ausführlichen Protokoll vom 3. November 1817 schildert der damalige Pfarrer Theodor Gottlob Vogt sehr ausführlich den Verlauf des 300jährigen Reformations-Jubiläums in Nordheim, das damals etwa 1050 Einwohner hatte. Seit der Zerstörung der Kirche beim Ortsbrand von 1810 mussten die Gottesdienste zunächst im Rathaus, später in der „Fleckenscheuer“, die man mit Altar, Kanzel und Bänken ausgestattet hatte, abgehalten werden. Sie stand nördlich der Kirche, etwa an der Stelle, wo heute Parkplätze am Fußweg zur Hofstatt sind. Hier eine wörtliche Abschrift des Protokolls von Pfarrer Vogt:

 

Actum Nordheim

d 3 t Novemb. 1817

                                      Sekular = Feier des Reformations = Festes

                                      Da, Leider im hiesigen Ort noch keine eigentl.

                                      Kirche ist; so konnte auch das Reformat. Fest nicht so

                                      feierl. wie in anderen Kirchen des Vaterlandes, began-

                                     gen werden. Indessen ist doch die Königl. Verordnung

                                     so viel als möglich dabei befolgt worden.

                                     Dieses Fest, welches am 31.st.Oct. Freitags, zur

                                     Gedächtnis = Feier der vor 300 Jahren angefangenen

                                     Reformation oder Kirchen = Verbesserung abgehalten

                                     wurde, ist vorher nach der Vorschrift öffentl. von der

                                     Kanzel verkündiget worden.

                                     Am Sonntag vor dem Fest wurde der Vormittags-

                                     Gottesdienst einer öffentl. Vorbereitung auf die Fest-

                                     Feier durch eine kurze Predigt und Verlesung einer

                                     geschichtlichen Darstellung des Anfangs der Reformat.

                                     gewidmet. Des Nachmittags aber der Jugend in der

                                     Kinderlehre (so wie auch ferner in der Kirche und Schule)

                                     eine auf den Zwek der Feier gerichtete Belehrung und

                                     Erinnerung ertheilt. In der Schule ist den Kindern der

                                     Zwek, Anfang und Fortgang der Reformation von dem

                                     Pfarrer selbst in die Feder dictirt worden, und zu eini-

                                     gem Andenken an diselben soll den Schreib = Schülern bei

                                     der künftigen Schulvisitation Papier ausgetheilt werden.

                                     Am Fest selbst, Freitags d-31.st Oct. wurde des Mor=

                                     gens Früh zur Erweckung der Andacht ein Vorzeichen

                                    mit der Gloke gegeben. Der öffentl. Gottesdienst nahm zu

                                    der sonst gewöhnlichen Stunde den Anfang. Der Löbl. Ma=

                                    gistrat, und das Bürger = Collegium, giengen in der Pro=

                                    zession in denselben. Nach dem Kirchen = Gesang wurde

                                    Predigt über Joh. 8, 31.32. gehalten, und der vorgeschrie=

                                    bene gedrukte Aufsaz, der einen kurzen Ueberblik über

                                    die wichtigsten Punkte aus der Geschichte der Reformat.

                                    und ihrer Folgen enthielt, vorgelesen; vor und nach der Pre=

                                    digt aber das vorgeschriebene Gebet gesprochen. Den Be=

                                    schluß machte die Absingung des Liedes:

                                                                „Nun danket alle Gott.“

                                    Vor den Thüren der sogenannten Kirche sind vor und

                                    Nachmittags Beken zum Einsammeln milder Gaben für

                                    die Armuth aufgestellt worden. Es fielen dabei

                                                                           2.f. 33x

                                    und solche sind nachher den armen Leuten ausgetheilt worden.

                                    Nachmittags ist die Schul = Jugend, welche von

                                    ihren Lehrern in Prozession in den Gottesdienst geführt

                                    wurde, über die Reformations = Geschichte examiniert wor=

                                    den. U. so wurde auch dieser Gottesdienst mit der Ermahnung

                                    beschlossen dieser großen Wohltat stets eingedenk zu

                                    sein.

                                    Am nächsten Sonntag, der auf das Jubel = Fest folg=

                                    te, ist sodann das Bekenntnis zur evangel. Kirche und Lehre,

                                    noch besonders durch den öffentl. Gebrauch des heiligen Abend=

                                    mahls bekräftiget worden.

                                    Gott, der immer alles hinausführet, erhalte

                                    uns und unsere Nachkommen sein rein u. seeligmachendes

                                    Wort, u. lasse uns durch den Glauben an dasselbe, und an

                                    seinen Sohn Jesus Christus ewig seelig werden, Amen!

                                    Die Richtigkeit der Begehung obigen Festes beur=

                                    kunden mit Ihrer Namens = Unterschrift

                                                                                         Pfarrer Schultheis

                                                                                         und Richter

                                                                                         Theod. Gottl. Vogt

                                                                                         J.F.Dörr

                                                                                         Andr. Wurst

                                                                                         J.F. Engelbrecht

 

Das 1804 fertiggestellte Schulhaus links im Bild ist vielen Nordheimern noch bekannt als Kochschule oder Lehrerwohnhaus. Es befand sich östlich neben der Kirche und blieb bei der Feuersbrunst 1810, als viele Gebäude und auch die Kirche abbrannten, verschont. In diesem Schulhaus wurden die Schüler 1817 über die Reformation belehrt. Daneben das Schulhaus von 1901; beide Schulen wurden 1971 abgebrochen und durch ein Wohn- und Geschäftshaus ersetzt.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen: Am 26.10.1817, dem Sonntag vor dem Reformationsfest, wurden die Erwachsenen im Gottesdienst auf das Reformationsfest am 31.10. vorbereitet. Den Kindern und Jugendlichen wurden am Nachmittag in der Kirche sowie in der Schule „…eine auf den Zwek der Feier gerichtete Belehrung und Erinnerung ertheilt. In der Schule ist den Kindern der Zwek, Anfang und Fortgang der Reformation von dem Pfarrer selbst in die Feder dictirt worden…“.

 

Am Reformationsfest selbst, einem Freitag, wurde mit der Glocke (vermutl. Rathausglocke) vorgeläutet. Nach der Predigt verlas der Pfarrer einen vorgedruckten Aufsatz mit den wichtigsten Punkten zur Reformation. Das eingesammelte Opfer wurde an Ortsarme verteilt. Am Nachmittag wurde die Schuljugend von den Lehrern „in Prozession“ in den Gottesdienst geführt und über die Reformationsgeschichte geprüft („examiniert“). Am darauffolgenden Sonntag wurde das Bekenntnis zur evangelischen Kirche und Lehre durch das Abendmahl bekräftigt. Am Montag, dem 3.11.1817 fertigte der Pfarrer dieses Protokoll an, das von ihm, von Schultheiß Dörr sowie von Gemeinderat Andreas Wurst und Kirchenpfleger Jacob Friedrich Engelbrecht unterschrieben wurde. Ziemlich genau drei Jahre später konnte am 5.11.1820 die wieder aufgebaute Kirche eingeweiht werden. Der Turm erhielt ein sehr einfaches, flaches Dach, das 1873 mit großer Unterstützung des Geheimen Hofrates Wilhelm von Seybold (Urgroßvater von Kurt von Marval) neu gestaltet werden. Dieser Turm von 1873 wurde im April 1945 beim Einmarsch der Alliierten zerstört.

 

 

Kirchturm um 1685;     Kirchturm von 1820,   Dier Turm wurde     Die Spitze des jetztigen
dieser Turm hat ver-     dieser wurde 1873       am 10.8.1873 samt    Kirchturm wurde im
mutlich schon die          aufgestockt und           Glocken eingeweiht. April 1990 neu auf-
Reformation in               erhielt eine völlig         Zerstört wrde er im    gebaut. Die Einweih-
Württemberg 1534       neue Spitze. Dieser     April 1945. In dieser   ung der renorvierten
erlebt und auch das      flache Kirchturm          Kirche wurde 1917     Kirche fand am 13.5.
100-jährige Jubi-            hat kein Refor-             das 400jährige Re-      1990 statt. Dieser
läum
1617 bzw.              mationsjubiläum         formationsjubiläum   Turm erlebt das 500-
1634; diese Kirche          erlebt.                             gefeiert.                          jährige Jubiläum
wurde 1693                                                                                                         der Reformation.
zerstört

 

Aus dem Protokoll des Kirchengemeinderates von 1917 (Pfarrer Schlenker):

Anlässlich der 4. Jahrhundertfeier der Reformation im Oktober 1917 hat der Kirchengemeinderat verschiedene Erlasse und Verordnungen des Königl. Konsistoriums und des Oberschulrates bekanntgegeben und für die hiesige Gemeinde beschlossen (es folgt eine wörtl. Abschrift):

§ 5

1. Am 31. Okt. 1917 a) eine gemeinsame Schulfeier für sämtliche Schüler in der Kirche vormittags 10 Uhr zu veranstalten, wobei Pfarrer Schlenker die Feier mit Gebet beginnt und beschließt, der Schulvorstand Oberlehrer Hahn eine Ansprache an die Schüler hält und Hauptlehrer Stütz die Gesangs- und Gedichtvorträge der Schüler leitet. Zu dieser Schulfeier werden auch die Eltern eingeladen.

b) Einen liturgischen Abendgottesdienst (½ 8 Uhr) unter Mitwirkung des Kirchenchores abzuhalten.

2. Am 22. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest, 4. Nov. d.J., am Reformationsfest einen liturgisch bereicherten Festgottesdienst vormittags und statt der Christenlehre einen Nachmittagsgottesdienst zu halten.

3. Das Opfer am 31. Okt. und am Reformationsfest für den vom Königl. Konsistorium angedachten Zweck zu bestimmen;

4. für die Festspende „Reformationsdank“ am Nachmittag des Reformationsfestes eine Haussammlung zu veranstalten und dieselbe durch Mitglieder des Kirchengemeinderates vornehmen zu lassen.

 

 

 Der Kirchenchor im Jahr 1901

 

§ 6

                                                Endlich wird beschlossen,

von den Lutherbüchlein von Prälat Planck 300 Stück anzuschaffen und an die Ausmarschierten aus hiesiger Gemeinde zu verschenken.

 

In früheren Zeiten war das Fest der Reformation viel enger mit dem Schulwesen verbunden als heute. Die Ursache dafür ist darin zu sehen, dass es nach der Einführung der Reformation in Württemberg 1534 durch Herzog Ulrich unter seinem Nachfolger Herzog Christof mit der Großen Kirchenordnung von 1559 zur flächendeckenden Einführung der „deutschen Volksschule“ kam. Die Kirche organisierte und kontrollierte das Schulwesen über Jahrhunderte, und erst 1909 ging die Schulaufsicht endgültig in die Aufsicht des Staates über. An Stelle der kirchlichen trat die staatliche Schulaufsicht durch die Schulämter. Im Jahr 2017 wurden und werden nicht nur in Nordheim zahlreiche Veranstaltungen zur Reformation durchgeführt. Die Schule spielt dabei nahezu keine Rolle mehr.

Die Jubiläumsfeiern 1817 und 1917 waren eher von Abschottung und von Nationalismus geprägt. Das Jubiläum 2017 war weltoffen und ökumenisch mit tausenden Veranstaltungen in Deutschland und weltweit. Anlässlich des 500jährigen Reformationsjubiläums ist der Reformationstag am 31. Oktober 2017 in Deutschland einmalig ein bundesweiter gesetzlicher Feiertag.

                                                                                                                                               Ulrich Berger

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