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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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„Geschichte“ des Monats Mai:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 29.04.2016 – 13.05.2016

Das Alte Rathaus früher:

Verwaltungssitz – Verkaufshalle – Tanzsaal – Ortsgefängnis

 

Das Alte Rathaus in der Ortsmitte von Nordheim hat eine lange, wechselvolle Geschichte. Auf der Inschriftentafel an der Eingangsseite des Gebäudes (Ostseite) sieht man die Jahreszahlen der Erbauung (1593) und der Wiederherstellung (1722). Dieser wie eine Wappentafel aussehende Gedenkstein beinhaltet die Initialen einiger wichtiger Nordheimer Personen vergangener Zeiten sowie verschiedene Handwerker- oder Steinmetzzeichen. Die Zahlen und Buchstaben in der Zeile über der Jahreszahl 1593 lauten zum Beispiel: RF 17ZZ HBB, was nichts anderes heißt wie: Reno(f)viert 1722 unter Schultheiß Hans Balthas Bender.

Im Jahr der Erbauung 1593 hatte Nordheim etwa 480 Einwohner. Der damalige Schultheiß hieß David Herbst, die Buchstaben auf der mittleren Wappentafel könnten ein Hinweis auf ihn sein. In der Oberamtsbeschreibung von 1873 wird das Rathaus so beschrieben: Es bildete einst unten eine weite offene von einer hölzernen Mittelsäule gestützte Halle, die sich gegen außen mit großen jetzt meist vermauerten Rundbögen öffnet.“ Diese offene Halle gab es in vielen Rathäusern aus dieser Zeit, meist wurde sie als Verkaufshalle genutzt (z.B. als Fleischbank). Sichtbar sind noch die beiden Bögen auf der Ostseite und der Bogen auf der Westseite. In Ansätzen sieht man auch noch den früher offenen Bogen im leicht gerundeten Sturz am linken Fenster auf der nordöstlichen Seitenwand. Wann dieser Bogen zugemauert wurde, ist nicht bekannt. Die beiden rechten Fenster an der Nordwand zeigen in ihren noch originalen Laibungen verspielte kleine Steinmetzarbeiten in Form von je zwei Löwenköpfen und zwei Adlerköpfen, die beim Vorbeigehen kaum wahrgenommen werden.  Der profilierte Abschlussstein an der Nordwestecke am Ende des Erdgeschosses zeigt deutlich dasselbe Steinmetzzeichen wie auf der Inschriftentafel am Ostgiebel.

Beim Franzoseneinfall 1693 brannte das obere Stockwerk des Rathauses ab. Dabei wurden auch viele wichtige alte Akten vernichtet. 1722 war das Rathaus  wieder hergestellt, 1863 wurde es „bedeutend verbessert“ (= renoviert). Dabei wurde im unteren Raum (Südwestecke) ein Lager für die Feuerspritze geschaffen „mit Thor gegen Westen“.

Adlerkopf in der Fensterlaibung

 

Die untere Fläche dürfte 1727 noch teilweise offen und zugänglich gewesen sein, wie sich aus einem Protokoll entnehmen lässt: „Wer künftighin den Flecken Schlitten braucht und nicht wieder unters Rathaus an den hinteren Stall lehnet daß man sich nicht daran stößt, solle allewegen 15x Strafe geben.“

Im Rathaus tagte der Gemeinderat, der Schulheiß hatte dort sein Amtszimmer, und wenn der Vogt aus Brackenheim oder seine Stellvertreter kamen um Ruggericht abzuhalten (eine Art Visitation aller örtlichen Einrichtungen), fanden die Beratungen ebenfalls im Rathaus statt. Auch mussten die Grundbücher, Steuerbücher, Kaufbücher usw. alle im Rathaus sicher verwahrt werden. Der Saal im ersten Stock wurde aber auch für Tanzveranstaltungen bei Hochzeiten genutzt, was manche Rüge bei Visitationen einbrachte: „Man soll der Bosheit steuren, die bey Hochzeiten auf dem Rathaus durch Knechte und Mägde nachts führgehen, diese kommen in Menge auf besagtes Rathaus, Lichter werden zum ersten ausgelöscht und als denn Bosheiten getrieben“ (1749), und 1773 rügte der Pfarrer „ärgerliche Schleifertänze“.

 

Weniger lustig ging es allerdings im „Zuchthäusle“, „Narrenhäusle“ oder „Ortsarrest“ zu, einer Verwahrkammer für die Übeltäter des Dorfes. Das vergitterte Fenster ist auf der Westseite noch zu sehen. Den Begriff „Zuchthaus“ darf man nicht mit dem späteren, „verschärftes Gefängnis“ bedeutenden Begriff verwechseln. In diesem „Narrenhäusle“ sollte der Delinquent eher der öffentlichen Spott- und Schaulust preisgegeben werden. Die Gründe, weshalb Mann oder Frau dort einige Stunden oder Tage verbringen mussten, waren äußerst unterschiedlich. So wurde 1694 die Wittwe Margaretha Aberlin zu 3 Tagen und 3 Nächten im Zuchthäusle verurteilt, weil sie „...deß Schultheißen Knecht Adam Roßmann, papistischer Religion nachts zu sich schlupfen lassen, welicher also bey ihr schlafend angetroffen, deß Morgens umb 3 Uhr“. Der Knecht musste 2 Pfund Heller (= 86 Kreuzer) Geldstrafe bezahlen, die Frau kam „ins Zuchthäusle“.

Postkartenausschnitt, um 1918

 

Weil er Weinbergpfähle gestohlen hatte, wurde 1715 Conrad Fischer drastisch bestraft: „...und muss solcher in dem Zuchthaus liegen bleiben bis Sonntag Cantate, als dann soll er vor die Kirchthüre gestellt werden und Pfähle in die Händt gegeben werden...“.

Wegen unerlaubtem Kegelspiel am Sonntag kamen 1734 zwei 16jährige Buben für 1 Tag ins Zuchthäusle: Wilhelm Sigler und Jacob Plieninger noch beide junge Buben von 16 Jahren dahe sie am Dom. 23. Sonntag (= 23. Sonntag nach Trinitatis) nachts um 11 Uhr gekögelt, sollen deswegen 24 Stund ins Zuchthaus.

Man könnte noch viele Beispiele anführen über Übeltaten und Übeltäter. Selbst von einem „Triller“ (Driller) erfährt man aus einem Protokoll vom 18. November 1734 über die Bezahlung des Dorfschützen: „Wenn er jemand ins Zuchthaus oder Triller setzt vor das Herauslassen 4x (=Kreuzer).“ Ein „Driller“ war ein drehbar aufgehängtes Gestell oder Käfig zum Einsperren von Übeltätern. Ob es so etwas in Nordheim überhaupt gab, ist nicht bekannt. Sehr komfortabel war das hiesige Arrestquartier sicher nicht, ein Strohsack und eine Decke zum Zudecken mussten genügen. Doch war die Obrigkeit um Ordnung und Sauberkeit bemüht, wie man aus alten Protokollen entnehmen kann:

 

1832: Es sind 2 Ortsgefängnisse vorhanden, wovon das eine heizbar, das andere aber unheizbar ist, beide sind in brauchbarem Zustand.

1871: Im Ortsgefängnis sind die beiden Teppiche (gemeint sind hier Decken) sehr schadhaft und ist wenigstens 1 neuer Teppich anzuschaffen.

1898: Für den Ortsarrest ist im Interesse der Reinlichkeit ein Leintuch zu beschaffen, welches allerdings von grobem Stoff sein kann.

1902: Das über der Thüre zum Ortsarrest angebrachte Fenster ist noch dichter zu verwahren, damit das Hineinreichen von Getränken etc. - wie es vorgekommen ist- unmöglich wird.

1925: Die beiden Arrestlokale im Rathaus sind in Ordnung. Es ist wegen Krätzegefahr dafür zu sorgen, dass die Bettteppiche im unteren Arrest, der häufig als Nachtquartier für Obdachlose benützt wird, von Zeit zu Zeit desinfiziert werden (am besten im Bezirkskrankenhaus)

Ein Gefängnis im Nordheimer Rathaus blieb lange erhalten. Als 1965 das neue Rathaus im Seybold-Marval’schen Schlösschen untergebracht wurde, fand u.a. der Posten der Landespolizei im alten Rathaus sein neues Domizil. Dazu gehörte auch das „Ortsgefängnis“ mit einer hochklappbaren Pritsche an der Wand als Bett. Unser früherer „Ortspolizist“ Rolf Schenk berichtete, dass er darin tatsächlich einmal einen Ladendieb eingesperrt hat.

Als im Mai 1933 der Verputz der Außenfassade erneuert werden sollte stellte man fest, dass darunter ein                      Fachwerkfreilegung 1933

erhaltenswertes Fachwerk liegt. Nach Rücksprache und mit Unterstützung des Denkmalamtes und des Oberamtes wurde beschlossen, dieses Fachwerk freizulegen und zu überarbeiten.

Bis 1964/65 diente das Gebäude der Gemeinde als Rathaus. Danach waren darin zeitweise der Polizeiposten, die Kreissparkasse und das Deutsche Rote Kreuz untergebracht. Den Sitzungssaal nutzte die Volkshochschule. Auch die Ortsbücherei unter der Leitung von Frau Baruth fand im alten Rathaus Raum. Wegen Platzmangel wurde sie zwischendurch wieder ausgelagert in das damals neue Feuerwehrgerätehaus. Seit 1987 ist nun das gesamte Gebäude des alten Rathauses das Domizil der Ortsbücherei. In der Heilbronner Stimme wird 1986 unser heutiger Ehrenbürger und früherer Bürgermeister Julius Scheffler (Anm.: seit 1962 in Nordheim tätig, BM von 1967-1995) so zitiert: „Ich habe während meiner ersten Jahre selbst noch in dem alten Rathaus gearbeitet. Als Gemeindepfleger war ich unten in einem dunklen, engen Raum untergebracht.“ Sechs ständige Mitarbeiter hätten damals in dem Fachwerkhaus die Gemeinde verwaltet (Nordheim hatte damals ca. 3500 Einwohner).

 

 

Das Alte Rathaus im Wandel der Zeit:

   Fachwerk unter Verputz            Kreissparkasse im Rathaus                     Ortsbücherei

                (bis 1933)                                               (bis 1972)                                     (seit 1987)

 

Auf der Mitte des Dachfirstes ist ein Dachreiter aufgesetzt, in dem die Rathausglocke hängt. Gegossen wurde sie 1925 von den Gebrüdern Bachert in Kochendorf und kostete damals 224 Reichsmark plus Fracht. Sie wiegt 56kg und hat am unteren Glockenrand einen Durchmesser von 44cm. Die Glocke diente als Feuerglocke, sie läutete zu Versammlungen, Ankündigungen und bei Verkäufen. Wir wissen fast alles über diese Glocke, nur wie sie klingt, weiß vermutlich niemand mehr. Vielleicht sollte man die Rathausglocke zu Beginn des nächsten Parkfestes, beim Backhausfest oder zur Eröffnung der Weiberzeche wieder einmal erschallen lassen? Sollte sie bei der letzten Renovierung starr montiert worden sein, müsste man sie mit einer langen Stange „anstupfen“. Das dürfte für einen „Nordheimer Glockenstupfer“ kein Problem sein!

                                                                                                                                                          Ulrich Berger

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