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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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(50.) „Geschichte“ des Monats Februar

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 01.02.2016 – 15.02.2016

Der Nordheimer Holzmarkt (von 1897 bis 1962)

Seit einigen Jahren gibt es am Samstagvormittag in Nordheim einen Wochenmarkt, der wegen des vielfältigen Warenangebotes und der frischen Ware bei den Kunden sehr beliebt ist und gut besucht wird. Dass es aber früher einen Holzmarkt in Nordheim gab, ist weniger bekannt. Über einen Zeitraum von ca. 65 Jahren (kriegsbedingte Unterbrechungen sind möglich) wurde von 1897 bis 1962 alljährlich auf dem Marktplatz ein Holzmarkt abgehalten. Bis 1953 fand er immer am zweiten Mittwoch im April statt, ab 1954 am zweiten Mittwoch im März. Dieser Markt hatte große Bedeutung für die Wengerter von Nordheim und die der umliegenden Gemeinden, da früher große Mengen an Weinbergpfählen benötigt wurden. Außer Pfählen wurden auch Leitern, Rechen, Dachschindeln, allerlei Küblerwaren, Bretter und Latten, Bohnen-, Hopfen- und Wagnerstangen angeboten. Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es auf diesem Markt außerdem auch Stände für Holz- und Bürstenwaren, Spiel- und Zuckerwaren und ab und zu sogar Schuhwaren.

Dass im Jahr 1936 in Nordheim 180 000 Weinbergpfähle abgesetzt wurden, ist aus heutiger Sicht und v.a. aus der Sicht von Nichtlandwirten eine unvorstellbar große Zahl. Um diesen riesigen Bedarf an Weinbergpfählen verstehen zu können, muss man sich etwas näher mit der Geschichte des Weinbaus und dort speziell mit den Erziehungsarten der Reben beschäftigen.                                             Gespräche auf dem Nordheimer Holzmarkt;

                                                               im Hintergrund das alte Haus der Fam. Canzler

 

In unserer Region war die Pfahlerziehung die übliche Methode im Weinbau, wobei man vermutlich im 16./17. Jahrhundert von der Zwei- auf die Dreischenkelerziehung überging, die sich in unserer Gegend bis nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten hat. Oftmals ging Quantität vor Qualität, der Stockabstand betrug manchmal weniger als 3 Schuh (1 Schuh = 28,65cm), und die Anzahl der Stöcke pro Morgen oder pro Hektar war wesentlich größer als heute. Die Zahlen schwanken zwischen 7200 und 9000 Stöcken pro Hektar (heute: ca. 4000 - 4200 pro ha) bzw. 2400 bis zu 4000 Stöcke pro Morgen. Diese dichte Bestockung in Verbindung mit der Drei-Schenkel- Erziehung, bei der jeder Stock 3 Pfähle benötigte, waren die Ursache für den ungeheuer großen Bedarf an Weinbergpfählen. Bereits im 19. Jahrhundert setzte man die Stöcke mit größeren Abständen. Betrachtet man die Rebfläche in Nordheim zu verschiedenen Zeiten und rechnet dann den Bedarf an Pfählen aus, kommt man zu folgenden Ergebnissen:

 

Jahr

Rebfläche

(in Morgen)

Rebfläche (ha)

(1 M = 0,315 ha)

Anzahl der

Rebstöcke

Anzahl der

Weinbergpfähle

1634

 

496

156

1 984 000

(4000 pro Morgen)

5 952 000

1734

 

299

94

1 196 000

(4000 pro Morgen)

3 588 000

1804

 

293

92

937 600

(3200 pro Morgen)

2 812 800

1873

 

602

190

1 685 600

(2800 pro Morgen)

5 056 800

 

Der Bestand von über 5 Millionen Pfählen allein auf der Markung von Nordheim im Jahr 1873 lässt ahnen, was für ein enormer Holzbedarf für Weinbergpfähle generell nötig war. Will man bei 5 Millionen Pfählen nur 1% der Pfähle jährlich ersetzen, also nur einen Pfahl von hundert, ergibt das einen Ersatzbedarf von ca. 50 000 Pfählen pro Jahr. Der Nordheimer Gemeinderat beschloss deshalb im September 1896, bei der Kreisregierung die Erlaubnis zur Durchführung eines Holzmarktes jährlich am zweiten Mittwoch im April zu beantragen. Früher war der Ilsfelder Holzmarkt ein wichtiger Handelsplatz für Pfähle und andere Holzprodukte. Allerdings war der Termin am 23. August (Bartholomäimarkt) für die Weingärtner ungünstig. Besser war ein Termin im Frühjahr, um die gekauften Pfähle noch vorbereiten und in den Boden bringen zu können. Für die Holzbauern aus dem Mainhardter Wald und den Löwensteiner Bergen waren solche Märkte wichtige Einnahmequellen. Aus dieser Gegend kamen auch die Händler für den Nordheimer Holzmarkt ab dem Jahr 1897, bis 1953 immer am zweiten Mittwoch im April, ab 1954 bis 1962 am zweiten Mittwoch im März.

 

Nordheimer Holzmarkt;                                         Nordheimer Holzmarkt;

im Hintergrund das Hofgut                                   Pfahltransport

 

Die Kosten für Pfähle hingen vom Material ab. Es gab Pfähle aus Nadelholz, aber auch aus Eiche, Esche, Akazie und in manchen Gegenden auch aus Kastanie. Gespaltene Pfähle waren haltbarer als gesägte, aber auch teurer. Gesägte Pfähle verrotten schneller, da die Poren der Holzoberfläche angeschnitten bzw. verletzt sind und so die Feuchtigkeit leichter in das Holz eindringen kann. Um sie möglichst lange zu erhalten, hat man die Pfähle ab etwa 1800 vor allem an der Spitze imprägniert (z.B. mit Eisen- oder Kupfervitriol), geteert oder angebrannt. Für die Behandlung der Pfähle mit Teer wurde 1907 im „Schelmental“ von Gottlieb Frank, Jung Friedrich Eckert und Friedrich Spöhr eine offene Hütte mit heizbarem Teerbottich gebaut, die sogenannte „Teerhütte“.

 

Vermutlich als Folge einer Klimaverschlechterung kam im 16. Jahrhundert die Notwendigkeit auf, die Rebstöcke im Winter niederzulegen („trechen“) um sie vor Frost zu schützen. Sie wurden dann mit Pfählen, Erde oder Steinen bedeckt um sie am Boden zu halten. Die nicht benötigen Pfähle wurden in einer „Pfahlstatt“ gelagert bis zum nächsten Frühjahr. Die Arbeit im Frühjahr begann mit dem Aufziehen der Reben, dann kam das Vertraumen mit dem „Vertraumhäule“.

Teerhütte im Schelmental,

1907 erbaut, entfernt 1960

 

 

Dabei wurde der bedeckt gehaltene Kopf vor dem Schneiden freigelegt. Danach kam das Schneiden, Biegen und Binden. Nach dem Hacken kam dann nach der „Brackenheimer Bauordnung“ das Pfählen an die Reihe. Dabei wurden die Weinbergpfähle mit Hilfe eines Pfahleisens in den Boden gedrückt. An den Pfählen band man nun die gebogenen Tragruten („Bögen“) fest. Noch viele weitere Arbeitsschritte waren nötig, um im Herbst bei der Lese einen ordentlichen Ertrag ernten zu können. Der alte Wengerterspruch „16 mal, bald grad, bald krumm, geh ich um den Rebstock rum“ sagt viel aus über die Mühen und Belastungen, die früher im Jahreslauf den Weingärtnern abverlangt wurden.

Pfahlstatt“ zur Lagerung
der Weinbergpfähle über den Winter

 

Das Ende des Nordheimer Holzmarktes kam mit der Umstellung von der reinen Pfahlerziehung zur Drahtanlage im Weinberg. Um 1953/54 waren noch 98% der Weinberge in Nordheim als Pfahlanlagen angebaut, es gab nur wenige Weinberge mit Pfropfreben und der Reblausbefall in vielen Weinberglagen war erheblich. Um künftig betriebswirtschaftlicher arbeiten zu könne n, waren dringend Änderungen erforderlich: Umstellung auf Reblaus resistente Pfropfreben, Umstellung von Hack- auf Pflugkultur (maschinelle Bearbeitung statt Handarbeit), Umstellung auf Stammerziehung mit Drahtrahmenunterstützung, Verbesserung des Wegenetzes und Zusammenlegung der zerstückelten, kleinen Parzellen. Mit einem Rebenaufbauplan wurde ein Plan erstellt, um über einen Zeitraum von vielen Jahren, von 1953/54 bis hin in die 70er und 80er Jahre, in den verschiedenen Gemarkungsteilen Rebflurbereinigungen durchzuführen. Nur so konnten die Weingärtner wettbewerbstaugliche Produktionsbedingungen für die Zukunft  bekommen.

 

Waltraud Rieth geb. Schwab als

junges Mädchen im Weinberg

 

Mit der Umstellung von Pfahlanlagen auf Drahtanlagen war das Ende des Nordheimer Holzmarktes eingeläutet. 1954 wurden noch 110 000 Pfähle angeliefert. Im Bericht über den Marktverlauf bzw. Verkauf steht dann aber: „…anfangs sehr zurückhaltend; weiterhin schleppend; halbe Räumung in Weinbergpfählen, Umsatz in Schnitt- und Brennholz gering“. In den Folgejahren sank der Absatz immer mehr, und 1962 wurden nur noch 8000 Pfähle angeboten. Über den Marktverlauf 1962 wird berichtet: „Der Verkauf war dem kleinen Angebot entsprechend sehr gering. Ein großer Teil der Ware, hauptsächlich Stickel, wurde von der Fa. Kasseckert, Nordhausen, als Restware aufgekauft.“

 

 

Buttenträger August Castagne
(mit Kerben im Weinbergpfahl
für jeden getragenen Butten)

 

Am 26. 11. 1962 beschloss der Gemeinderat deshalb, keinen Antrag mehr auf die Verlängerung einer Genehmigung zur Abhaltung eines Holzmarktes zu stellen. „Der GR hat festgestellt, daß in den letzten Jahren die Beschickung des Holzmarktes immer mehr zurückgeht. Die früher sehr notwendigen Weinbergpfähle werden durch die neuen Drahtanlagen nicht mehr benötigt und die übrigen Holzgegenstände können während des Jahres bei hiesigen oder Nachbarfirmen gekauft werden. Es wird daher einstimmig beschlossen: Ein Antrag auf Verlängerung des Holzmarktes über 31. Dez. 1963 wird nicht gestellt“. (GRP 1962/11)

Damit endete eine langjährige, traditionelle Veranstaltung, die viele Jahre große Bedeutung für Nordheim und Umgebung hatte.

                                                                                                                                               Ulrich Berger

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