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Mitteilungsblatt Nordheim

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„Geschichte“ des Monats Oktober:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 06.10.2015 – 20.10.2015

Das Wohngebiet „Weihen“ – Entstehung und Besonderheiten

 Als mit der Bebauung des Weihens im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts begonnen wurde, war der Weihen das höchstgelegene Wohngebiet von Nordheim. Der hintere, obere Bereich liegt ca. 205m über NN, das sind etwa 30m über der Höhe der Uhlandstraße.

 

 

Woher der Name „Weihen“ kommt, lässt sich nicht eindeutig belegen. Der in verschiedener Schreibweise vorkommende Name „Weyen, auf dem Weyhen, Weihen“ lässt zwar die Nähe zu etwas Geweihtem, etwas Heiligem oder Religiösem als naheliegend erscheinen, es gibt aber für eine derartige Erklärung keinerlei Ansatzpunkte. Lediglich die räumliche Nähe zu den Flurbereichen Pfarrhof und Kapellenäcker könnte ein Hinweis in diese Richtung sein. Aus archäologischer Sicht gibt es zwei sehr interessante Befunde, die aber auch keine Erklärung für das Wort „Weihen“ bieten.

Im Osten der Flur „Weihen“ wurden Scherben aus dem jüngeren Abschnitt der Jungsteinzeit gefunden, der sogenannten Michelsberger Kultur. Das könnte auf eine Verbindung zu der Siedlung auf den Schlossäckern in Klingenberg hinweisen, die auch dieser Epoche angehört. Eine zweite interessante Fundstelle wurde 1957 von dem früheren Nordheimer Hobbyarchäologen Hermann Kunz in einer Baugrube in der Seyboldstraße entdeckt. Es handelt sich um die Reste einer keltischen Metallwerkstatt. Leider wurde der von Kunz

 

 

Schmelztiegel mit Bronzeresten                           „Briquetagen“, sogen. Salzgefäße

 

gefundene Schmelzofen bei den Bauarbeiten ohne Dokumentation zerstört. Aus dem Aushub wurden mehrere Bruchstücke von Schmelztiegeln sowie einige Eisenschlacken geborgen, außerdem die Böden von zwei kleinen, becherförmigen Gefäßen aus Ton. Diese groben Tonnäpfe werden als „Briquetagen“ bezeichnet, in ihnen wurde Salzsole verdampft und das Salz anschließend transportiert. Bei der 1996 erfolgten Erweiterung des Baugebietes auf dem „Weihen“ konnten von dieser Siedlung. keine Spuren mehr festgestellt werden. Eine Deutung des Flurnamens „Weihen“ ist demnach auch aus archäologischer Sicht nicht möglich.

 

Wo, wann und durch wen begann nun die Bebauung des Weihens mit Wohnhäusern?

Auslöser war 1910 ein Baugesuch des Christoph Müller zur „Erstellung eines einstockigen Wohnhauses ...im Weihen, außerhalb des geschlossenen Wohnbezirks oder des Ortsbauplanes...“ für seine Tochter Mina. Dabei handelt es sich um ein Vorgängergebäude der heutigen Bergstraße 13 (nach An- und Umbau auch Pauline Müller, ab 1930 Erichsen, jetzt Lell). Zunächst legten Ackerangrenzer Widerspruch ein, sie befürchteten eine Gefährdung ihrer Feldfrüchte und Schäden durch Geflügel. Auch der Gemeinderat lehnte zunächst ab, gab das Anliegen aber weiter an das Oberamt zur Entscheidung. Schließlich konnte eine Genehmigung erwirkt werden, so dass dieses Haus das erste Wohnhaus auf dem Weihen wurde. Diese Familie Müller entwickelte danach eine rege Bautätigkeit auf dem Weihen und man sprach sogar von den „Weihen-Müller‘s“, denn sie gaben tatsächlich den Startschuss zur baulichen Eroberung des Weihens. Insgesamt bauten Mitglieder dieser Familie in diesen Jahren insgesamt 5 Häuser an verschiedenen Stellen auf dem Weihen. Die Bergstraße war zu dieser Zeit noch nicht als Straße ausgebaut, sie trug die Bezeichnung „Feldweg Nr. 2“. Erst im Jahr 1936 wurde die Bergstraße in der heutigen Form ausgebaut mit den Stützmauern an der Südseite der Hanggrundstücke.

 

Die Bergstraße vor ihrem Ausbau.
Links oben das erste Wohnhaus auf
dem Weihen.

 

Diese Hanggrundstücke wurden zunehmend für Geschäftsleute und Beamte als attraktive Wohnlage entdeckt. Die Grundstücke am Berg zwischen Uhlandstraße, Panoramastraße (im 3.Reich „Horst-Wessel-Straße“ genannt) und Bergstraße waren ruhig gelegen, unverbaubar und mit schöner Aussichtslage. So entstanden zwischen 1926 und 1939/40 sechs für damalige Nordheimer Verhältnisse außergewöhnliche Wohnhäuser an diesem Hang. Diese Villen besaßen alle ein Walmdach, einen Erker und Terrasse bzw. Balkon. Bevor die Panoramastraße ausgebaut wurde, war der Zugang zu diesen Häusern nur von unten über viele Stufen möglich, was recht beschwerlich war.

 

Ensemble von insgesamt 6 Villen mit Walmdach und Erker aus der Zeit der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts.

 

Das erste Wohnhaus in dieser exponierten Lage baute 1926/27 der Diplomtechniker Hermann Zinser. Er war zeitweise Teilhaber der „Süddeutschen Strick- und Wirkwarenfabrik“ in der Bahnhofstr. 11. Das Ende dieser Strickerei dürfte um 1932 liegen. Bereits kurz nach dem Tod von H. Zinser 1931 kam es zur Zwangsversteigerung seines neuen Wohnhauses. Neuer Eigentümer wurde Eugen Eberhard, der Bruder des hiesigen Fabrikanten Willi Eberhard. Das Wohnhaus wurde bis 1935 vermietet, zunächst an Bezirksnotar Franz Steinhauser, anschließend an Bezirksnotar Albert Klemm, der das Haus 1935 von Eugen Eberhard kaufte. Im Jahr 1978 erwarben Dr. Wunigar Wallentin und seine Frau Renate dieses Anwesen.

 

 

Das älteste von 6 villenähnlichen Gebäuden am Hang des „Weihens“. Besitzerfolge: Zinser, Eberhard, Klemm, Wallentin.

 

Das nächste Wohnhaus baute 1933 an diesem Hang Karl Wagner, der von 1931 bis 1966 Bürgermeister in Nordheim war. Er baute auf dem Eckgrundstück Uhlandstraße/Bergstraße. Heute ist dieses Gebäude, früher Bergstraße 1, jetzt Panoramastr. 5, auch von der Panoramastraße aus erreichbar. Wagner nannte das Baugebiet „Weihen“ 1935 in einem amtlichen Schreiben „das schönste Baugelände Nordheims“.

 

Die beiden nächsten Villen wurden vermutlich fast zeitgleich gebaut: Neben Karl Wagner plante 1935/36 Rektor Christian Mayer in der Uhlandstraße 2 sein Haus, das aber bereits 1937 dem Fabrikanten Franz Schneider und dessen Frau Luise gehörte. Franz Schneider war seit 1936 Besitzer der Fabrik beim Bahnhof und suchte ein repräsentatives Wohnhaus. Nach dem Tod von Luise Schneider erwarb das Ehepaar Strohmaier dieses Anwesen, das ebenfalls von der Uhlandstraße bis zur Panoramastraße reicht.

1936 baute der spätere Unternehmer und Glasfabrikant Richard Schmalzhaf sein Wohnhaus am Ende des Hanges an der Bergstr. 7. In diesem Haus wohnte nach ihm u.a. die Familie Schoch (Schmalzhaf-Tochter).

Ebenfalls 1936/37 baute der Oberlehrer Otto Müller sein Haus an der Uhlandstr. 4. Müller war von 1934 bis 1951 Lehrer an der Nordheimer Schule. Nach 17 Jahren in Nordheim beendete er 1951 krankheitsbedingt seinen Dienst. Das Müller’sche Haus wird heute von seinem Enkel Bernd Müller mit Familie bewohnt.

Das jüngste dieser 6 „Häuser am Berg“ ist das Gebäude Bergstr. 5. Erbaut hat es 1939/40 der Kaufmann und Buchhalter Heinrich Zimmermann. Von Ihm erwarb es um 1956 der Arzt Dr. Hans Nerbel. Viele Nordheimer erinnern sich noch daran, dass die Familie Nerbel in diesem Haus wohnte und Dr. Hans Nerbel dort bis 1975 seine Arztpraxis betrieb. Heute wird dieses Haus von Reiner und Claudia Frank mit Kindern bewohnt. Familie Frank erwarb das Haus im Jahr 2001.

 

Große Veränderungen auf dem Weihen brachte die Nachkriegszeit. 1950 erwarb die Gemeinde von Kurt von Marval ein 1,22 ha großes Grundstück für den sogenannten Kleinwohnungsbau. So konnte die Gemeinde vor allem Heimatvertriebenen günstig Bauland anbieten. Auf dem Weihen wurden die Hölderlin-, Seybold- und Goethestraße bis zur Mörikestraße erschlossen. (Die Seyboldstraße hieß in Teilen im 3. Reich auch „Kurze Straße“ oder „Narvikstraße“.) Am 16.8.1953 wurde die katholische Kirche St. Maria eingeweiht. Sie wurde inzwischen bereits wieder abgerissen und an anderer Stelle durch ein Gemeindezentrum ersetzt. Am ehemaligen Standort stehen nun Wohnhäuser.

                                                            Ehemalige Katholische Kirche St. Maria auf dem Weihen

 

1955 stellte der Bäckermeister Wilhelm Karle einen Bauantrag für ein Wohn- und Geschäftshaus in der Seyboldstr. 7. Viele Jahre wurde dort ein Lebensmittelgeschäft mit Bäckereifiliale (Familie Petri, Frau Riedinger) betrieben. Die Baulandumlegung Weihen II erfolgte 1969/70 (Hauff- und Kernerstraße). In der Hauffstraße wurde am 8.9.1970 der Kindergarten Auf dem Weihen in Betrieb genommen.

Die Fußgängerverbindung zwischen Bahnhofstraße und Bergstraße ist die sogenannte „Weihenstaffel“. Sie wurde vermutlich zwischen 1920 und 1924 angelegt, zunächst als Treppe aus Holz. Heute besteht sie aus Beton und hat einen etwas veränderten Zugang.

Dass eine höhere Lage attraktiv und etwas Besonderes ist, hat Schultheiß Johann Balthas Bender bereits 1723 gewusst als er die sogenannte „Silla Hopp“ in der Kelterstraße erbaute. Zu dieser Zeit war dieses Haus das höchstgelegene Gebäude in Nordheim.

 

Weihenstaffel 2015

                                                                                                                                              Ulrich Berger

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