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Mitteilungsblatt Nordheim

Neues aus Nordheim und Nordhausen (Archiv)

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„Geschichte“ des Monats November:

Erfasst von: Widenmeyer stillgelegt, Lisa | 10.11.2014 – 24.11.2014

Aus Schwertern werden Pflugscharen –
Gedanken zum Volkstrauertag und dem Ende des Krieges in Nordheim 1945

Am 16. November ist Volkstrauertag, einer der sogenannten „Stillen Tage“. Das sind Feiertage, an denen besondere Einschränkungen zu beachten sind. Der Volkstrauertag wird seit 1952 zwei Sonntage vor dem ersten Adventssonntag und ein Sonntag vor dem Totensonntag begangen. Gedacht wird an diesem Tag der „Toten zweier Kriege an den Fronten und in der Heimat“, aber auch an die Opfer von Gewaltherrschaft in aller Welt. In diesem Jahr gab es weltweit besonders viele Opfer durch kriegerische und terroristische Aktivitäten. Ihrer sollte man dieses Jahr besonders gedenken und dankbar sein, dass wir in unserem Land nun schon sieben Jahrzehnte in Frieden und Freiheit leben können.

Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft wurden in Nordheim im April 1945 kurz vor Kriegsende überraschend viele Menschen: Zivilisten, deutsche, französische sowie amerikanische Soldaten, teilweise unter sehr tragischen Umständen. Bei der Einnahme Nordheims in den Tagen des 4./5. Aprils 1945 ging es recht dramatisch zu. Während es in Großgartach am 4. April einer Abordnung mit weißer Fahne unter Führung von Bürgermeister Sauter möglich war zu den Amerikanern zu gelangen und eine Feuereinstellung zu bewirken, galt in Nordheim die Devise, der Ort muss mit allen Mitteln verteidigt werden. Sogar Panzersperren (die völlig wirkungslos waren), mussten gebaut werden. Zwar marschierte die in Nordheim stationierte Truppe am 2./3. April ab, aber eine neue, für die Verteidigung vorgesehene Fronttruppe rückte nach. Der Standortälteste hatte seinen Sitz in der „Traube“ am Marktplatz, je ein Befehlsstand mit deutschen Soldaten wurde im Hause Kärcher/Schmid an der Großgartacher Straße und im Anwesen Hirsch/Bachmann an der Heilbronner Straße eingerichtet. Dieser sinnlose Entschluss und Befehl, Nordheim mit allen Mitteln zu verteidigen, kostete beim Einmarsch 49 deutschen Soldaten, 6-8 amerikanischen, 12 französischen Soldaten , 3 auf der Flucht befindlichen polnischen Zwangsarbeitern und mehreren Zivilpersonen das Leben. Außerdem wurden 14 Wohnhäuser, 5 Scheunen und die Kirche zerstört.

 

Am 4. April begann der Vorstoß der feindlichen Kräfte von Klingenberg und Großgartach her (Bruchhöhe), in der Nacht vom 4. auf den 5. April setzte ab 22.00 Uhr Artilleriebeschuss ein. Am 5. April drangen französische Panzer in den Ort ein. Die in den Gefechtsständen bereitstehenden deutschen Kräfte wurden zur Verteidigungslinie auf der Bruchhöhe, wo es kaum Deckungsmöglichkeiten gab, kommandiert, darunter auch sehr junge Hitlerjungen, der jüngste war ein noch keine 16 Jahre alt! Zwischen 10 und 12 Uhr wurde stärkeres Artilleriefeuer auf die Kreuzung Großgartacher, Haupt- und Brackenheimer Straße gerichtet und zerstörte dabei die Anwesen an der oberen Kelterstraße und der Hauptstraße, auch der Kindergarten erlitt Schäden. Insgesamt sind dort 12 Wohnhäuser und mehrere Scheunen dem Gefecht zum Opfer gefallen. Zwischen 12 und 14 Uhr nahmen die Franzosen den Marktplatz und die Kirche unter Beschuss. Der Kirchturm wurde getroffen. Vielleicht hatte man dort Beobachter vermutet. Auch die „Traube“ brannte ab. Die Kommandantur wurde ins Marvalsche Gutshaus verlegt.                                         Zerstörungen an der Ecke Hauptstraße und
                                                        Großgartacher Straße; oben: Kelterstraße


Bald darauf kamen die französischen Panzer quer über die Felder auf die Heilbronner Straße zu, gefolgt von der französischen Infanterie. Nachdem die Brücke in der Heilbronner Straße nicht mehr passierbar war, wichen die Franzosen über die Schiller- und Uhlandstraße aus. Gegen 15.30 Uhr wurde der erste französische Panzer in der Ortsmitte gesehen. Als die deutschen Verteidiger begriffen, dass sie keine Chance mehr hatten, traten sie die Flucht in Richtung Süden an. Gegen 15 Uhr kamen flüchtende deutsche Soldaten auch von der Bruchhöhe herab. Die meisten versuchten über die Uhlandstraße zum Rotenberg zu flüchten. Dabei wurden sie entdeckt und viele von ihnen auf dem Rotenberghang von hinten durch Maschinengewehrsalven getötet. Die Verwundeten wurden mit Sanitätswagen in verschiedene Lazarette und Hilfslazarette abtransportiert.

Der stellvertretende Bürgermeister Friedrich Spöhr, der die Gemeindeverwaltung führte seit BM Wagner eingezogen worden war, wurde schon morgens von der Bevölkerung aufgefordert, die Ortschaft kampflos zu übergeben. Spöhr hatte daraufhin versucht, eine weiße Fahne aus dem Toilettenfenster des Rathauses zu hängen. Er wurde jedoch bemerkt und daran gehindert und stand den ganzen Tag im Marvalschen Gutshaus unter Bewachung durch deutsche Soldaten. Als die Franzosen den Ort erreicht hatten und die deutschen Soldaten auf der Flucht waren, hat die deutsche Verteidigung Spöhr endlich erlaubt, Nordheim zu übergeben. Jetzt erst konnte er die weiße Fahne hissen.

Inzwischen erreichten zahlreiche Panzer aus mehreren Richtungen unseren Ort. Sie kamen über die Schiller- und Pfarrhofstraße, aber auch von der Großgartacher Straße her ins Dorf. Mehrere feindliche Panzer wurden von den Verteidigern zerstört:

 

 

Ein Panzer brannte in der Pfarrhofstraße nach einem Panzerfausttreffer aus. Die Besatzung konnte sich nicht mehr retten. Ein zerstörter Panzer stand am Anfang der Brackenheimer Straße, es heißt, hinter der Litfasssäule an dieser Ecke habe ein deutscher Soldat gestanden der auf den Panzer aufsprang, den Deckel hochnahm und eine Handgranate hineingeworfen habe. Ein weiterer Panzer wurde vor dem Haus Haller am Marktplatz abgeschossen. Ein französischer Offizier kam dabei ums Leben. Da zuvor in Nordheim bereits die weiße Fahne als Übergabe gezeigt worden war, waren die Franzosen jetzt aufs Äußerte gereizt und provoziert. Sie nahmen nun sieben Nordheimer als Geiseln und sperrten sie in der Garage des Gebäudes Bergstraße 1 (damals Wagner) ein. Man drohte, die Geiseln bei einem weiteren Zwischenfall zu erschießen. Ein deutscher Panzer stand gesprengt an der Markungsgrenze Richtung Klingenberg, zwei weitere Richtung Lauffen am Zollstock.

„Restpanzer“ südlich vom Zollstock Markung Lauffen, ca. 1949

Die zerstörten Panzer blieben an ihren Standorten zum Teil sehr lange stehen, da man sie mit gewöhnlichen Schweißbrennern nicht zerlegen konnte und für den Abtransport waren sie zu schwer. Die beiden Panzer Richtung Lauffen (Jagdtiger, 60 Tonnen) hat man schließlich gesprengt, Reste davon wurden beim Ausbau der Straße nach Lauffen vor einigen Jahren noch gefunden. Der Panzer vor dem Gebäude Haller wurde in die Kirchstraße vor die Kirche geschleppt. Ein Schrotthändler konnte ihn zerlegen, und aus dem Panzerstahl wurde sinnvolles Werkzeug gefertigt: die Schmiede Frank und Schmied Umbach holten sich jeder eine ca. 6cm dicke und ca. 200kg schwere Platte aus Panzerstahl als Boden- oder Abrichtplatte. Andere Teile wurden zu Werkzeugen umgearbeitet, z.B. zu einer Reuthaue für den Weinberg.       Zerstörter Panzer, abgestellt vor der 
                                                                     Kirche

 

                                              Reuthaue aus Panzerstahl

  

Selbst Granathülsen von den Amerikanern fanden Verwendung: In der Bartholomäuskirche standen viele Jahre nach dem Krieg zwei Vasen aus Messing auf dem Altar, gefertigt aus Hülsen von amerikanischen Granaten mit der Kennzeichnung „105mm M14 TYPE 1, 1944“.

 

Amerikanische Granathülse als         Boden der Granathülse mit 
Blumenvase                                            Kennzeichnung

 

So wurde die prophetische Verheißung aus dem Alten Testament Realität, in der es heißt

"Schwerter zu Pflugscharen" (Jesaja und Micha): „Und er wird richten unter den Heiden und strafen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen“ (Jes. 2,4).

Neben diesen Erinnerungen aus Kriegsmaterialien bleibt für uns heute als Erinnerung und vor allem als Mahnung das Ehrenmal im Alten Friedhof, wo jeder einzelne Name für einen tragischen, oft qualvollen und vor allem völlig sinnlosen Tod steht. Es finden sich dort die Namen der 49 gefallenen deutschen Soldaten, darunter Angehörige des Volkssturms und der Hitlerjugend. Der jüngste Gefallene war ein erst 15jähriger Jungenschaftsführer aus Edingen bei Mannheim. Die Toten wurden  in zwei Sammelgräbern im Friedhof an der Bahnhofstraße beigesetzt. Dort sind auch die Namen von drei polnischen Opfern zu lesen, die zu einer Gruppe von flüchtenden Kriegsgefangenen bzw. Zwangsarbeitern gehörten, die am 5.4.45 auf der Flucht von den Alliierten beschossen und durch Granatsplitter bei Kampfhandlungen im Schelmental getötet wurden. Mehrere Zivilopfer, die unter meist tragischen Umständen ums Leben kamen, wurden in Einzelgräbern beigesetzt. Alle noch vorhandenen Gräber ließ der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge 1965 innerhalb des Alten Friedhofes umbetten und mit Steinkreuzen versehen. Die Pflege der Gesamtanlage obliegt der Gemeinde Nordheim.                        Ulrich Berger

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